Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Ziel dieser Arbeit ist es, die Kenntnisse von der Buchmalerei im donauösterreichischen Raum in der Zeit vom späten 14. Jahrhundert bis Mitte des 15. Jahrhunderts zu erweitern. Dies soll vor allem durch die Einordnung in der Literatur noch nicht bekannter illuminierter Handschriften und durch eine genaue Untersuchung aller illuminierter Handschriften des neben Wien bedeutendsten Zentrums der Buchmalerei dieser Zeit – des Stiftes Klosterneuburg – und der mit letzteren verwandten Codices der Wiener "Hofwerkstätte" geschehen. Dabei sollen durch eine genaue Analyse der Ausstattungselemente (Deckfarbenschmuck, Fleuronnée, Lombarden) aller besprochener Handschriften und durch Berücksichtigung ihrer kodikologischen Merkmale wie Schrift, Wasserzeichen, Einband Kenntnisse über die Arbeitsteilung am Buchschmuck und auf diese Weise auch über einzelne Illuminatoren oder Werkstätten gewonnen werden.
Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Betreuer dieser
Dissertation, Herrn Univ. Prof. Dr. Gerhard Schmidt, für die
stete Anteilnahme an meinen Arbeiten sowie den Leitern jener
Bibliotheken, die mir Einsicht in ihre Handschriftenbestände
gewährten.
Beobachtungen zur Buchmalerei im Wiener Raum im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts
In diesem Abschnitt soll versucht werden, das Verhältnis der Handschriftengruppe um CCl 614 zu der des Niederösterreichischen Randleistenstils und zum Missale CCl 74 näher zu bestimmen. An Hand einer genauen Untersuchung des Fleuronnéeschmucks kann dabei aufgezeigt werden, daß wir es nicht mit isoliert voneinander entstandenen Handschriften zu tun haben, sondern daß zwischen ihnen konkret definierbare Beziehungen bestehen, die auch Aufschlüsse über den Werkstattbetrieb zu liefern imstande sind.
CCl 614
(⇒Kat.-Nr.1)
enthält neben Deckfarbeninitialen mit Randleisten, die nach Schmidt
(⇒Anm. 3-1)
unbeholfene Nachahmungen
böhmischer Vorbilder, etwa in der Art des 1368 datierten,
für Albrecht III. bestimmten Evangeliars des Johann von
Troppau (Cvp 1182) sind, auch mehrere volkstümliche
figürliche Initialen, laviert mit Filigranschmuck. Zu
letzteren hat ebenfalls bereits Schmidt a. O. festgestellt,
daß ähnliche Initialen von der gleichen Hand auch in den
Codices CCl 200
(⇒Kat.-Nr.2)
und CCl 626
(⇒Kat.-Nr.3)
existieren. Da die drei Handschriften zweifellos in
Klosterneuburg geschrieben worden sind – das Kalendar des
der spezifischen Klosterneuburger Liturgie folgenden
Missales CCl 614 entspricht weitestgehend dem des Sierndorf-Missales
CCl 71, ein und derselbe Schreiber ist in allen
drei Codices nachweisbar
(⇒Anm. 3-2)
– , ist auch an der Entstehung ihrer buchkünstlerischen Ausstattung im Stift nicht zu zweifeln.
Eng verwandt mit dem Deckfarbenschmuck von CCl 614 sind die zweifellos aus derselben Werkstatt stammenden vierzehn Deckfarbeninitialen (darunter drei historisierte: 8r Petrus, 34v und 37r Iohannes evangelista) des CCl 154 (⇒Kat.-Nr.4). Eine Entstehung in Klosterneuburg wäre denkbar, wenn auch die Tatsache, daß sich auf dem Hinterdeckel-Spiegel zwischen 1561 und 1575 eine Reihe von Privatpersonen eingetragen haben, eventuell für eine vorübergehende anderweitige Aufbewahrung des Codex sprechen könnte.
Der Stil der kleinen Figuren und das Ornamentvokabular (fleischige Akanthusblätter oder stilisierte Akanthusstäbe, auf 8r eine Blattmaske in Form eines Drachens) ist zu CCl 614 sehr ähnlich; man vergleiche etwa die Blattformen des jeweils oberen Rankenastes von CCl 614, 194r und CCl 154, 12r. Die Blattformen mit kugelig eingerollten Spitzen von CCl 614, 194r ‐ in grundsätzlich derselben Form noch im Rationale Durandi (Cvp 2765) nachweisbar (z.B. 251ra) - begegnen in etwas vereinfachter Form auch in CCl 154; z.B. auf Bl. 37r und – zu in gleichmäßigen Abständen mit kugeligen Blättern besetzten Rankenstengeln reduziert – in einer Reihe von Handschriften des Niederösterreichischen Randleistenstils (z.B. Cvp 1790, 179r).
Gegenüber CCl 614 ist der Deckfarbenschmuck in CCl 154 etwas flüchtiger ausgeführt. An Farben wird in beiden Handschriften Rosa, Purpur, Zinnober, Grün und Blau verwendet. Das Grün findet sich in CCl 614 meist als Türkis, in CCl 154 als Dunkelgrün. Der freiere Rankenverlauf (ein vergleichbar geometrisierendes Schema wie bei CCl 614, 78r oder 188r findet sich in CCl 154 nicht) und die wenigen steifen Figürchen lassen CCl 154 etwas jünger erscheinen.
Der Holzeinband des CCl 154 zeigt auf seiner Rückseite eine
zirka 20 cm große Madonna mit Kind. Die Madonna hält in
ihrer Linken eine große Blüte, die sich in ähnlicher Form in
Handschriften des Niederösterreichischen Randleistenstils
Die Madonna ist zweifellos etwa gleichzeitig mit dem Deckfarbenschmuck im Inneren der Handschrift entstanden. Drapierungsschema und Qualitätsniveau entsprechen etwa dem – allerdings schlankeren und bewegteren – Petrus auf 8r. Daß die Madonna von derselben Hand wie der Deckfarbenschmuck im Inneren der Handschrift stammt, wäre wohl denkbar; einer definitiven Entscheidung widersetzt sich jedoch die mäßige Qualität der Darstellungen, die zu wenig Anhaltspunkte für einen Händevergleich bieten. Dasselbe gilt auch für das Verhältnis der Bildchen in CCl 614 und 154.
Zwei Handschriften, deren sehr bescheidene Austattung – sie enthalten nur jeweils eine einzige, figürliche Initiale zum Textbeginn – letzten Endes wohl auf Vorbilder dieser Art zurückzuführen ist, befinden sich in den Klosterbibliotheken von Göttweig (Cod. 156 ⇒Kat.-Nr.5) und Kremsmünster (Cod. 159; laut Kolophon 1378 in Wien vollendet) (⇒Anm. 5-1). Das Stilniveau des halbfigurigen Paulus der letztgenannten Handschrift entspricht etwa dem der Verkündigungsminiatur des nach 1382 entstandenen Hendl-Breviers (⇒Anm. 5-2), die Formen der Initialausläufer sind wohl als Reduktion von Vorbildern in der Art von CCl 154, 8r zu verstehen. Die Initiale des Göttweiger Codex erinnert in ihrer Buchstabenkörper-Ornamentik und vor allem in ihren geradlinig verlaufenden, von großen Blüten unterbrochenen Ausläufern ebenfalls an das Hend-Brevier; eine Entstehung der Göttweiger Handschrift in Wien um 1380 wäre somit denkbar.
Eine Untersuchung des Fleuronnéeschmucks der bislang
erwähnten Handschriften bringt folgendes Ergebnis: Die
Fleuronnéeinitialen des Hendl-Breviers und des
Kremsmünsterer Codex wurden in keiner anderen illuminierten
Handschrift aufgefunden; hingegen schließen sich CCl 614,
200 und 626 auch durch ihr einheitliches Fleuronnée
zusammen.
Im Fleuronnéeschmuck des CCl 614 sind drei verschiedene Hände feststellbar (Hand A, B, C); die Buchstabenkörper der Fleuronnéeinitialen stammen jedoch wegen ihres einheitlichen Formenkanons zweifellos von einer einzigen Hand. (⇒Anm. 6-1) Hand A hat das Fleuronnée in der ungezählten Kalenderlage von CCl 614 und in weiteren 20 Lagen dieser Handschrift ausgeführt, Hand B ist in neun, Hand C in zwölf Lagen nachweisbar. In der von Hand B mit Fleuronnée versehenen Lage VIII hat Hand A – mit Ausnahme der von Hand B ausgeführten Initiale C auf 83vb – das Fleuronnée zu den Lombarden auf 82r und 83v eingesetzt.
Während Hand C in keiner weiteren Handschrift nachgewiesen werden konnte, ist Hand A auch für den Fleuronnéeschmuck in CCl 200 und CCl 626, 185r-205v (das Fleuronnée auf den übrigen Blättern von anderer Hand) verantwortlich. Im Fleuronnée dieser Hand treten des öfteren am linken Initialrand angesetzte Profilmasken auf (z.B. CCl 614, Ir, 99r, 105r, 115r, 137r, 149r, 185r), und nur in den von dieser Hand mit Fleuronnéeschmuck versehenen Lagen der drei genannten Handschriften finden sich Initialen mit lavierten Federzeichnungen im Binnengrund, die somit diesem Florator zuzuschreiben sind (vgl. CCl 614, 135v – CCl 200, 2r – CCl 626, 185r, 201v).
Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung des Fleuronnées von
CCl 614 ist jedoch, daß der Fleuronnéetypus der Hand B sich
sowohl in Handschriften des Niederösterreichischen
Randleistenstils wie in CCl 74 wiederfindet.
Holter hat 1939 erstmals vier Handschriften des Niederösterreichischen Randleistenstils vorgestellt (Cvp 1790; Berlin, STB, Cod. germ. fol. 479; Göttweig, Cod. 5; Cvp 1388) (⇒Anm. 7-1), sie um 1370 datiert und in den niederösterreichischen Raum lokalisiert. Schmidt hat diese Gruppe um insgesamt fünf Handschriften erweitert ("Hendl- Brevier" Stockholm, Königl. Bibl., Cod. A 175; CCl 74; Cvp 1523 (⇒Anm. 7-2); Bratislava, Kapitelbibl., Cod. 47; Melk, Cod. 356 (⇒Anm. 7-3)) und ihren Stil unter der Bezeichnung Niederösterreichischer Randleistenstil" zusammengefaßt. Außerdem sind dieser Gruppe noch zuzurechnen eine 1392 zu datierende Bibel der Wiener Universitätsbibliothek (Ms. 506), der 1386 in Wien geschriebene CCl 467 und ein Missale- Fragment der Klosterneuburger Stiftsbibliothek.
Der Begriff Niederösterreichischer Randleistenstils soll hier bloß auf jene Gruppe von insgesamt neun Handschriften (⇒Anm. 7-4) beschränkt werden, die in ihrem durchwegs unfigürlichen Deckfarbenschmuck eine derart starke Übereinstimmung zeigen, daß man in ihnen Produkte einer Werkstätte sehen muß, deren Tätigkeit aufgrund datierter Codices auf die achtziger und frühen neunziger Jahre festgelegt werden kann. Es sind dies alle der oben genannten Handschriften mit Ausnahme des Hendl-Breviers, des CCl 74 und des Cvp 1523.
Der Deckfarbenschmuck dieser Handschriften zeigt nachstehend
aufgezählte Charakteristika, die etwa an Göttweig, Cod. 5,
1v, 69r, Berlin, STB, Cod. germ. fol. 479, 1r, 18r und an
der UB-Bibel, 1r, 7r studiert werden können: Der
Buchstabenkörper ist stets konturiert, zeigt eine flächige
Blattfüllung oder ist ornamentiert. Drachen als
Buchstabenkörper finden sich nur in Göttweig, Cod. 5, 1v
und Berlin, STB, Cod. germ. fol. 479, 1r. Das in poliertem
Gold gehaltene Initialfeld wird fast immer von zwei Wülsten
gerahmt, der innere in Grün, der äußere in Karminrot
(letzterer meist mit in kurzen Abständen
aufeinanderfolgenden Gruppen von jeweils drei weißen
Querstrichelchen). Als Binnengrund-Ornamentik -
In den Ranken finden sich bisweilen Tiere und Fabelwesen; teils vollständig oder partiell in Farben ausgeführt, teils in reiner Federzeichnung (z.B. Göttweig, Cod. 5, 1v, 177r, 232v). Motive – fast immer in reiner Federzeichnung –, die vor allem in den Ranken des jeweils ersten Textblattes zu finden sind, sind der vom Hund verfolgte Hase und ein Storch, der bisweilen einen Fisch im Schnabel hält (z.B. Berlin, STB, Cod. germ. fol. 479, 1r, 18r, Bratislava, Kap. Bibl., Cod. 47, 1r, UB-Bibel, 7r; Göttweig, Cod. 5, 1v).
Innerhalb dieser Handschriftengruppe schließen sich die UB-Bibel
(⇒Anm. 8-1)
und Cvp 1388 einerseits und Melk, Cod. 356 und das Klosterneuburger
Missale-Fragment
(⇒Anm. 8-2)
andererseits enger zusammen. Der
Deckfarbenschmuck jeder der beiden Gruppen ist zweifellos
von jeweils einer Hand geschaffen worden; lediglich in der
UB-Bibel könnte das dünklere Kolorit einzelner Initialen
(vgl. z.B. 1r mit 38r) eventuell auf die Mitarbeit eines
Gehilfen deuten. Die beiden erstgenannten
In fast allen Handschriften des Niederösterreichischen Randleistenstils ist eine Hand nachweisbar; die insgesamt hunderte von Initialen mit Fleuronnée ausgestattet hat (⇒Anm. 9-1) und die bereits in CCl 614 und CCl 74 vertreten ist. Während in den Codices Melk, Cod. 356, CCl 467, UB-Bibel, Göttweig, Cod. 5 und im Missale-Fragment das Fleuronnée aller Initialen dieser Hand zuzuschreiben ist (wobei grundsätzlich natürlich nicht ausgeschlossen werden kann, daß nicht doch manche Initialen von einer anderen Hand stammen, die das Formenrepertoire der Haupthand kopiert), ist in den Handschriften Berlin, STB, Cod. germ. fol. 479 und Cvp 1790 eine zweite Hand mit wenigen Initialen vertreten. Im folgenden soll das Fleuronnée der erstgenannten Hand kurz charakterisiert und sein Vorkommen in den genannten Handschriften nachgewiesen werden.
Fleuronnée der genannten Hand findet sich im Binnengrund der
von Doppellinien konturierten Lombard-Initialen, als Besatz
an der Außenkontur des Buchstabenkörpers und als
Perlenreihen zu Beginn der geradlinig verlaufenden
Fadenausläufer. Größere Binnengründe enthalten häufig
rosettenartig angeordnete gestielte Knospen (z.B. Göttweig,
Cod. 5, 215v; UB-Bibel, 62r,
Die Identität des Fleuronnées in CCl 614 und CCl 74 wird unter anderem durch folgende übereinstimmende Motive belegt: Reihen tropfenförmiger Perlen an der Außenkontur der Buchstabenkörper (vgl. CCl 74, 130r – CCl 614, 80r, 164v, 194r), blütenähnliche Motive im Zwickel zwischen Anstrich und Buchstabenkörper der I-Initialen (vgl. CCl 74, 166v - CCl 614, 194r), kleine, bei fast allen Fleuronnéeinitialen beider Handschriften nachzuweisende Spiralen am Ansatzpunkt der Fadenausläufer, identische Formen der Fadenausläufer (vgl. CCl 74, 19v – CCl 614, 204v).
Daß der mit der Sigle B belegte Florator des CCl 614 auch den Fleuronnéeschmuck von CCl 74 ausgeführt hat, bestätigen auch die identisch ausgeführten Masken im Fleuronnée (vgl. CCl 74, 346v – CCl 614, 298v oder CCl 74, 328v – CCl 614, 83v).
Der Nachweis, daß diese Hand mit dem oben genannten Florator
der Handschriften des Niederösterreichischen
Randleistenstils identisch ist, ist am einfachsten durch
Vergleiche derselben Typen von Fleuronnéemasken zu
erbringen. Der bärtige Männerkopf von CCl 74, 349r begegnet
unter anderem wieder in UB-Bibel, 65v und Göttweig, Cod. 5,
293r, die Maske in der Schlinge des Fadenausläufers von CCl
74, 19v und 346v findet sich auch in Berlin, STB, Cod. germ.
fol. 479, 26v und Göttweig, Cod. 5, 82r. Die Besonderheit,
daß bei der Profilmaske auf 244r in CCl 74 das rechte Auge
gesondert eingesetzt ist, ist auch in UB-Bibel, 16v, CCl
467, 1v, Melk, Cod. 356, 269r zu finden. Ebenfalls häufig
nachweisbar ist das bei der Maske CCl 74, 254v auftretende
Motiv einer zum Saum der Kopfbedeckung parallel geführten,
leicht geschwungenen Linie; etwa in UB-Bibel, 32v, 73r und
Göttweig, Cod. 5, 82r und 116v. Schließlich zeigen Hase und
Hund auf 10r in CCl 74 dieselbe Handschrift wie etwa in
Göttweig, Cod. 5, 1v.
Daß dieser Florator zumindestens für einen Teil der Deckfarbeninitialen der genannten Handschriften verantwortlich ist, wird dadurch belegt, daß in manchen Deckfarbenranken teilweise mit Farbe übergangene Profilmasken in Federzeichnung vorkommen, die in derselben Art auch im Fleuronnée nachweisbar sind. So findet sich dieselbe Mönchs-Profilmaske wie in den Ranken der UB-Bibel auf 109v und 294r unter anderem auch bei der Fleuronnéeinitiale auf 186r dieser Handschrift (in den Deckfarbenranken auf 294r ein Vogel in Federzeichnung, der in den von Cvp 1388, 1r wiederbegegnet). Die Profilmaske auf Cvp 1388/1v – in jener Handschrift, die keine Fleuronnéeinitialen der oben besprochenen Hand enthält – zeigt die bei zahlreichen Masken nachweisbare zum Saum der Kopfbedeckung parallel geführte geschwungene Linie.
Masken wurden nicht nur gleichzeitig mit der Vorzeichnung für die Deckfarbeninitialen eingesetzt, sondern in Einzelfällen – nur in der UB-Bibel – auch gleichzeitig mit der Ausmalung der Lombarden, wie etwa eine Lombardinitiale auf 257v der UB-Bibel beweist, wo die rote Maske am oberen Ende der gleichfarbigen Initiale eindeutig in einem Zuge mit dieser eingetragen worden ist (die Masken an der linken Buchstabenkörper-Kontur in der Gegenfarbe des Fleuronnées).
Aus dem Gesagten kann wohl eindeutig geschlossen werden, daß der in der Ausstattung der genannten neun Handschriften des Niederösterreichischen Randleistenstils dominierende Künstler (⇒Anm. 11-1) zumindestens bisweilen sicherlich den gesamten Buchschmuck einer Handschrift (Lombarden (⇒Anm. 11-2), Fleuronnée, Deckfarbeninitialen) ausgeführt hat.
Dieser Schluß wird noch unterstützt durch den Standort jener
wenigen Initialen der genannten Handschriften, die nicht das
charakteristische Fleuronnée dieser Handschriftengruppe
zeigen. Fleuronnée dieser zweiten Hand – vom oben
besprochenen Fleuronnée unter anderem durch die Form der
tropfenförmig
Wie ist nun die Position des in seiner Provenienz (⇒Anm. 12-1) noch ungeklärten CCl 74 (⇒Kat.-Nr.6) innerhalb der bislang besprochenen Handschriften?
Während durch die Fleuronnéeinitialen des CCl 74 ein personeller Zusammenhang sowohl zur Gruppe um den CCl 614 wie zur Handschriftengruppe des Niederösterreichischen Randleistenstils gegeben ist, sind die Beziehungen in der Ornamentik des Deckfarbenschmucks von CCl 74 – der mit Ausnahme des unter böhmischen Einfluß stehenden Kanonbildes einer einzigen, bodenständigen Hand zuzuschreiben ist – zur letztgenannten Gruppe deutlicher ausgeprägt.
Die Dracheninitiale auf 10r und die glockenähnlichen Blüten
links oben auf demselben Blatt begegnen in ähnlicher Form
Der Deckfarbenschmuck der Handschriften des Niederösterreichischen Randleistenstils darf also nicht bloß als Weiterentwicklung des von CCl 74 verstanden werden; daß er jedoch aus Vorbildern wie CCl 614, CCl 154 und CCl 74 geschöpft hat, ist an Hand der aufgezeigten Übereinstimmungen evident.
Da die Hauptkraft des Niederösterreichischen Randleistenstils in den 70er Jahren als Florator an der Ausschmückung von CCl 614 und CCl 74 beteiligt war, müssen es diese und ähnliche Vorbilder gewesen sein, aus denen der genannte Florator in den 80er Jahren – mittlerweile offensichtlich selbständig geworden – einen neuen Randleistenstil kreierte.
Zur Zeit ihres Aufenthaltes in Klosterneuburg dürfte diese
Kraft auch CCl 201
(⇒Anm. 13-1)
ausgeschmückt haben, wie die zu
Beginn der einzelnen Predigten eingesetzten
Fleuronnéeinitialen
Der Florator dieser Handschrift hat zweifellos auch vergrößerte Majuskeln der jeweils ersten Zeile des Schriftspiegels mit Fleuronnée und/oder Masken ausgeschmückt. Man vergleiche etwa die Akanthoidrosette in der Majuskel auf 35r mit den oben angeführten Beispielen oder die Maske auf 34vb, 48r und 65vb mit beispielsweise Göttweig, Cod. 5, 114v. Eine noch zu überprüfende Frage wäre, ob dieser Florator nicht – analog etwa zu Heinrich Aurhaym – auch als Schreiber tätig gewesen ist, da der Duktus der verzierten Majuskeln für eine gleichzeitige Ausführung von Buchstaben und Buchstabenschmuck spricht. Bei einer solchen Untersuchung wäre ein Brevier aus Säusenstein (Sankt Pölten, Diözesanbibliothek, Cod. 97) (⇒Anm. 14-1), das ebenfalls mit Masken in der Art der des Niederösterreichischen Randleistenstils verzierte Majuskeln enthält (z.B. 35r, 88v, 356v) und das auch in seinem übrigen Buchschmuck (Fleuronnéeinitialen – z.B. 13r, 20r, 27r, 51r, 176v – und zwei Deckfarbeninitialen auf 1r und 86r) starke Analogien zu CCl 201 zeigt, mit zu berücksichtigen.
* * *
Reminiszenzen an den Niederösterreichischen
Randleistenstil" sind noch in Handschriften gegen oder um
1400 nachweisbar. So in den in der Literatur noch nicht
genannten CCl 104-107
(⇒Anm. 14-2)
und im jüngeren
Hingewiesen sei abschließend auf das in der
kunsthistorischen Literatur noch nicht genannte
Kanonbildchen des Karthäuserbreviers Cvp 1872
(⇒Anm. 15-3). Dessen
Assistenzfiguren entsprechen ikonographisch jenen des
Kreuzigungsbildchens auf 138r des RD: Maria führt die
verhüllten Hände zum Gesicht, der zum Gekreuzigten
aufblickende Johannes legt die Rechte in seine Wange und
hält in der anderen Hand ein Buch. Die Kreuzigung
Der auf den Kanon folgende Text (für den Kanon wurde keine eigene Lage verwendet) zeigt eine Reihe von Fleuronnéeinitialen (z.B. 143v, 144r, 181r, 190r, 325r), deren interpolierte Masken in ähnlicher Form in Handschriften des späten 14. Jahrhunderts begegnen (vgl. z.B. Cvp 1872, 181r mit CCl 626, Ir; Cvp 1872, 190r mit CCl 201, 23r).
Auf Grund der aufgezeigten Beziehungen im Buchschmuck
erscheint die Bestimmung der Handschrift für eine der drei
niederösterreichischen Karthausen (Mauerbach, Gaming,
Aggsbach) wahrscheinlich.
Die Werkstatt des Missales Wiener Neustadt, Neukloster (OC), Cod. XII A 10
In diesem Kapitel soll eine Gruppe von um 1400, vor allem im niederösterreichischen Raum entstandenen Codices behandelt werden, deren Buchschmuck von einer Werkstätte ausgeführt worden ist, als deren Hauptwerk das oben genannte Missale angesehen werden darf. Zu dieser Gruppe zählen folgende – zum Teil nur mit Fleuronnéeinitialen ausgestattete – Codices (in Klammern die jeweilige Katalognummer; mit Asterisk die in der kunsthistorischen Literatur nicht genannten Handschriften): CCl 10* (16), CCl 14* (17), CCl 23-24 (18), CCl 27* (19), CCl 33* (20), CCl 344* (21), CCl 600* (22), Heiligenkreuz, Cod.1-2* (23), Brixen, Seminarbibl., Cod. A 12 (24), Berlin, STB, Cod. germ. fol. 1109, Sankt Florian (OSA), Cod. III 205 (25), Wiener Neustadt, Neukloster (OC), Cod. XII A 10 (26), Budapest, Bibl. der Akademie der Wissenschaften "Ivrét 1 b" (27).
Aus den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts stammen drei
illuminierte Handschriften der Klosterneuburger
Stiftsbibliothek: die 1401-1402 datierten, mit einer
figürlichen und einer unfigürlichen Deckfarbeninitiale
ausgeschmückten CCl 23-24 sowie die mit je einer
unfigürlichen Deckfarbeninitiale ausgestatteten CCl 10
(datiert 1404) und CCl 14 (datiert 1401). Die genannten
Handschriften enthalten außerdem eine Reihe großer
Fleuronnéeinitialen, die zwei verschiedenen Händen
zuzuschreiben sind. Jene Hand, die in CCl 23 das Fleuronnée
eingesetzt hat (in diesem Kapitel fortan als "Florator A"
bezeichnet), ist auch für das Fleuronnée in CCl 14 verantwortlich,
jene Hand, von der das Fleuronnée in CCl 24
stammt ("Florator B") ist hingegen auch in CCl 10
nachweisbar. Florator A ist außerdem in den
deckfarbenschmucklosen Handschriften CCl 27, 344 und 600 zu
finden.
Das Fleuronnée der Hand A ist meist bewegter, wirkt schwungvoller (man vergleiche etwa die Fadenausläufer der Fleuronnéeinitialen von CCl 23 und 24), die mäanderförmigen Enden sind in ihrem Duktus zwar nur geringfügig aber konstant von denen der Hand B verschieden: bei letzteren variiert der Abstand zwischen den Schlingen und die horizontale Breite der Schlingen weit weniger stark. Dreipunkt-Motive finden sich bei Hand B nur als Endmotive, bei Hand A hingegen häufig auch als Besatz von Fadenausläufern.
Das Fleuronnée der genannten Handschriften zeigt in größeren Binnengründen häufig kreisförmige Felder mit rosettenartig angeordneten, kurzstieligen Perlen. Die Rosetten sind bisweilen farblich voneinander abgesetzt; ihre Perlen heben sich des öfteren vor dunklem Grund als plastische Gebilde ab (z.B. CCl 10, 151v; CCl 14, 4v; CCl 24, 48v).
Mit dem Fleuronnée des Niederösterreichischen
Randleistenstils (vergleiche etwa Göttweig, Cod. 5, 369r)
besteht kein Zusammenhang. Demgegenüber ist das der
genannten Handschriften vor allem weitaus großformiger und
zeigt keine Masken.
(⇒Anm. 18-1)
Die Palette beschränkt sich zudem
nicht bloß auf Blau und Rot; daneben wird häufig auch
Violett und bisweilen auch Braun
(⇒Anm. 18-2)
verwendet.
Vergleichbar großperlige Akanthoidrosetten als
Binnengrundfüllung finden sich etwa in der Wenzelsbibel (Cvp
2759-2763)
(⇒Anm. 18-3)
aber auch schon in böhmischen Handschriften
der sechziger Jahre des 14. Jahrhunderts – etwa im Missale
des Johann von Neumarkt (Prag, Kapitelbibl., Cim. 6)
(⇒Anm. 18-4).
Das Fleuronnée der genannten Klosterneuburger Handschriften zeigt engste Beziehungen zu dem des Missales Wiener Neustadt, Neukloster, Cod. XII A 10. Vom "Florator A" stammt etwa das Fleuronnée auf 67v, auf 150v (ausgenommen Initiale I auf 150va) und die Initiale I auf 182va, wie die schwungvollen Formen der Fadenausläufer (vergleiche damit etwa CCl 23, 80v, 172v; CCl 14, 25r, 11v sowie 144r, 59v) und die mit Dreipunkt-Motiven besetzten Ausläufer (vergleiche etwa CCl 14, 4v, 73v) belegen.
Der überwiegende Teil des Fleuronnées im Wiener Neustädter
Codex stammt von einer unter anderem auf 2r-54v
nachweisbaren Hand, die auch in der 1397 datierten Bibel
Heiligenkreuz, Cod. 1-2 vertreten ist. Die gleichförmigen
Schlingen der Fadenausläufer und die Form ihrer Dreipunkt-Endmotive
erinnern zwar an "Florator B" der Klosterneuburger
Handschriften – man vergleiche etwa Cod. XII A 10, 16r mit
CCl 344, 2r, 43r; CCl 600, 61v, 75r –, doch zeigen die
Fadenausläufer des "Florators B" engere Windungen und
häkchenförmige Enden – siehe z.B. die Ausläufer am unteren
Seitenrand von CCl 24, 67v, 139v, CCl 27, 1r, 216r, die
waagrechten Ausläufer links der Initiale auf CCl 10, 123v,
260r und die Ausläufer am oberen Seitenrand von CCl 344, 2r,
43r. Häkchenförmige Ausläuferenden vergleichbarer Form
findet man im Wiener Neustädter Codex nur bei wenigen Initialen;
z.B. auf 108v (S, I), 182va (D) und 182vb (I).
(⇒Anm. 19-1)
Gegen eine Zuschreibung des Fleuronnées dieser wenigen Initialen an den unter anderem auf 2r-54v tätigen Hauptflorator des Wiener Neustädter Missales spricht vor allem der Umstand, daß auch in der 1399 datierten Handschrift Brixen, Seminarbibl., Cod. A 12 – deren unfigürliche Deckfarbeninitiale zum Buchbeginn bislang dem Heinrich Aurhaym zugeschrieben wurde – neben eindeutig vom "Hauptflorator" stammendem Fleuronnée (man vergleiche etwa den Fleuronnéeschmuck Wiener Neustadt, Cod. XII A 10, 16r – Brixen, Seminarbibl., Cod. A 12, 78v; 18r – 99v; 168v – 142v) ebenfalls durch häkchenförmig abschließende Fadenausläufer charakterisiertes nachweisbar ist. Fleuronnée dieser Art – im Brixener Codex erstmals auf 93v und ausschließlich in violetter Farbe nachweisbar – findet sich etwa zur Buchinitiale auf 120v; das Formenrepertoire des Fleuronnées dieser Initiale ist eindeutig das des "Florators B" der Klosterneuburger Handschriften (man vergleiche damit etwa CCl 10, 239v und 260r).
Demselben Florator ist auf Grund der engen Übereinstimmung
zur genannten Brixener Initiale auch die Fleuronnéeinitiale
in St. Florian, Cod. III 205 auf 128r
(⇒Anm. 20-1)
zuzuweisen, und
dieselbe Kraft war auch in der Handschrift Berlin, STB, Cod.
germ. fol. 1109, z.B. auf 291v, tätig.
Die einfachen, sorgfältig gezeichneten Buchstabenkörper der Fleuronnéeinitialen der Handschriften dieser Gruppe folgen in der Mehrzahl einem Formenkanon; eine Zuweisung eines bestimmten Fleuronnéetypus zu einem bestimmten Lombardentypus scheint nicht möglich zu sein. Während bei den genannten Handschriften Lombarden ohne oder mit Fleuronnée jeweils dieselben Formen aufweisen, zeigen in CCl 14 und im von derselben Hand geschriebenen CCl 33 nur die mit Fleuronnée ausgestatteten den üblichen Formenkanon. (⇒Anm. 21-1) Mit dem in dieser Handschriftengruppe vorherrschenden Formenkanon für Lombard-Initialen haben auch die wenigen kalligraphischen im Missale von St. Florian – mit Ausnahme der Fleuronnéeinitiale auf 128r (siehe oben) – nichts zu tun.
Die Tatsache, daß die in den genannten Klosterneuburger
Handschriften tätigen Floratoren auch in Handschriften
anderer Provenienz nachweisbar sind, beweist, daß es sich nur
um vorübergehend im Stift tätige Kräfte handeln kann. Daß
allerdings alle der heute in Klosterneuburg aufbewahrten
Codices dieser Gruppe im Stift geschrieben und somit dort
auch ausgeschmückt wurden, kann nicht bewiesen werden. Eine
Entstehung im Stift darf meines Erachtens mit sehr großer
Wahrscheinlichkeit für CCl 600 angenommen werden, da dieser
Psalter der spezifischen Klosterneuburger Liturgie
* * *
Im folgenden soll nun untersucht werden, inwieweit auch im Deckfarbenschmuck die genannten Handschriften eine homogene Gruppe bilden. Die Klosterneuburger Handschriften schließen sich in dieser Hinsicht durch die übereinstimmenden Ranken-Blattformen (vgl. vor allem den Duktus der dreiteiligen Blatthälften) und die Art des Initialgrundrahmens der Buchinitialen eng zusammen. Denselben Rahmen zeigt die Initiale Heiligenkreuz, Cod. 1, 1r und die der Brixener Handschrift (in der Art ihrer Schaftfüllung entspricht letztere CCl 10); die Blattranken dieser beiden älteren Handschriften sind etwas kleinformiger.
Was die Ornamentik aller Handschriften dieser Gruppe
miteinander verbindet, sind spezifische Formen der
Buchstabenkörper-Füllung, des Initialgrundrahmens und der
Binnengrundornamentik. Als Buchstabenkörper-Füllung finden
sich flächige oder dreidimensional bewegte Blätter;
charakteristisch für diese Handschriftengruppe sind zwei
Formen von Schaftfüllungen. Die eine zeigt ein um seine
Längsachse derart gedrehtes Blatt, daß die stets paarweise
zusammengefaßten Blattlappen in ihrer Richtung alternieren.
Diese findet sich etwa in Brixen, Seminarbibl., Cod. A 12, 2r, CCl 10, 1r,
Wiener Neustadt, Cod. XII A 10, 9v, 138r, 145r, 157r (die Blattrippen werden in
Die Blattranken der Handschriftengruppe sind wenig
charakteristisch. Sie zeigen einen freieren Verlauf als
jene der Initialen der älteren Stilschicht des RD oder des
Cvp 381 (vgl. etwa 5v, 19v), sie enthalten – mit Ausnahme
einer stilisierten Kerzenblüte auf 1r des St. Florianer
Missales, auf 1r des CCl 23 und auf 5v des Wiener Neustädter
Missales – keine Blüten, die Blatthälften sind meist zwei-
oder dreilappig.
Während sich die Palette der mit unfigürlichen Initialen ausgeschmückten Handschriften dieser Gruppe auf den üblichen Dreiklang von Blau (als Azurblau oder Blaugrau), Rosa und Grün (vor allem als Türkis) beschränkt (die Manschetten stets in Zinnober), findet sich in den Missalien eine reichere, vor allem um Dunkelrot und im Wiener Neustädter Missale auch um Gelb (etwa auf 117r, 152r, 154v) erweiterte Farbenskala. Die letztgenannten beiden Farben sind auch in der älteren Stilschicht des RD nachweisbar: dasselbe Rot erstmals auf 70va, Gelb (nur in sehr wenigen Fällen) erstmals auf 69rb.
* * *
Im Gegensatz zur durchaus einheitlichen Deckfarbenornamentik
sind im figürlichen Schmuck der Handschriftengruppe deutlich
mehrere Hände erkennbar. Im Hauptwerk der Gruppe, im Missale
Wiener Neustadt, Neukloster, Cod. XII A 10, unterscheidet
Schmidt
(⇒Anm. 24-1)
"mindestens zwei Meister: Der ältere, der das
Kanonbild samt Stifter malte, hängt noch vom Frühstil des
Rationale ab, besonders von dessen zweiten Meister.
(⇒Anm. 24-2)
Ein
jüngerer Maler schuf den Rankenrahmen des Kanonbildes und
die Masse der Initialen offenbar schon unter dem Einfluß des
Meisters Nikolaus." Dem ersten Satz dieses Zitats ist
zweifellos zuzustimmen. Gleich den Figuren des Meisters
Etwa auf dem Stilniveau des Kanonbildes stehen die Marienfiguren auf 138r, 145r und 145v des Wiener Neustädter Missales. Im rundköpfigen Gesichtstypus und in der graphischen Durchzeichnung der Haare erinnern sie an den Johannes des Kanonbildes; im Faltenstil ist vor allem die Verkündigungsmaria auf 138r mit dem Johannes vergleichbar (ihr Gewand breitet sich allerdings im Gegensatz zu dem des Johannes geringfügig am Boden aus).
Derselben Hand wie der Kanonbild-Kruzifixus des Wiener Neustädter
Missales ist zweifellos auch der nur etwa 8 cm große
Friedenskuß-Kruzifixus zuzuweisen. Mit ersterem stimmt auch
der Kanonbild-Gekeuzigte des St. Florianer Missales
engstens überein. Beide zeigen eine völlig identische
Haltung und entsprechen einander auch in Details wie in der
Wiedergabe des Lendentuches, des Dornenkranzes und der
Finger. Oberkörper und Physiognomie des St. Florianer
Gekreuzigten entziehen sich allerdings einem näheren
Vergleich, da sie beschädigt sind. Von den drei genannten
Gekreuzigten unterschieden sich die beiden kleinen der
Gnadenstuhlinitiale (115r) und am unteren Seitenrand des
Kanonbildes des Wiener Neustädter Missales (letzterer beschädigt)
ikonographisch geringfügig (ihr Körper ist in Gegenrichtung
des Kopfes gedreht, die Stellung der übereinandergelegten
Füße ist verschieden), während stilistisch keine
wesentlichen Unterschiede auszumachen sind (vgl. 115v -
Friedenskuß-Kruzifixus).
Die Initialbilder auf 87v (Resurrectus), 153r (Petrus) und 154v (Anna Selbdritt) unterscheiden sich vom Rest der Initialen des Wiener Neustädter Missales vor allem durch ihre Proportionen, ihre stärkere Plastizität und den fortschrittlicheren Faltenstil. Ihre Köpfe – mit kleinen, zart eingezeichneten Details – sitzen auf einem vergleichsweise massigen Körper; man vergleiche etwa den Auferstehenden mit dem disproportionieren Christus der Palmsonntaginitiale (21v), den Petrus mit den Apostelfürsten auf 159v und die Anna mit der Maria auf 145v. Auffällig sind gegenüber den meisten der übrigen Darstellungen auch die relativ kleinen Hände mit den dünnen Fingern. Die wulstigen, an der Körperkontur ansetzenden Zugfalten beim Auferstehenden und bei Petrus vermitteln – gemeinsam mit der starken Aufhellung des von der Falten unterfangenen, vorgewölbten Körperteils – einen weit stärkeren Eindruck von Körperplastizität als die Figuren des Kanonbildes aber auch als die Apostelfürsten auf 30v des RD. Petrus und Anna sind die beiden einzigen Darstellungen, bei denen der Gewandsaum rechtwinkelig am Boden umknickt. Von den übrigen sitzenden Marien (z.B. 15v, 107r, 145v) unterscheidet sich Anna auch durch die großen, vom Knie ausgehenden Tütenfalten und durch den zweimal eckig gebrochenen Gewandteil an ihrer rechten Körperseite; und nur hier findet sich ein Sitzmöbel.
Eine größere Gruppe von Initialen (z.B. 15v, 21v, 101r,
107r, 115r, 115v, 140v, 159v), die sich durch Verwendung
derselben Gesichtstypen zusammenschließt (vergleiche etwa
Petrus auf 115v, 159v, 101r, 107r und Christus auf 115v,
140v), zeigt einen gegenüber den Assistenzfiguren der
Kreuzigung zum Teil fortschrittlicheren Faltenstil und
dürfte von jener Hand stammen, die für die Apostelfigürchen
des Kanonbildes verantwortlich ist. Der dieser Gruppe
zugezählte Paulus auf 159v entspricht in seinem Faltenrelief
dem dritten Apostel links des Kanonbildes. Gegenüber der
Verkündigungsmaria auf 138r und dem Johannes des Kanonbildes
ist sein Faltenrelief großformiger und plastischer. Im
Faltenstil vergleichbare Darstellungen
* * *
Die von Schmidt a.O. angenommene Beeinflussung des Stils der Apostelfigürchen des Kanonbildes ist meines Erachtens nicht eindeutig zu erkennen. Das Faltenrelief der halbfigurigen Heiligen der Rankenmedaillons auf 274r des RD und der zum größten Teil wohl ebenfalls dem Nikolaus zuzuschreibenden Initialbildchen auf 195-204, 215-224 und 235-255 derselben Handschrift (⇒Anm. 27-1) ist in der Regel einfacher und plastischer, die Wirkung der Figuren monumentaler (siehe etwa RD, 274r - Katharina, 196va, 201vb, 202va, 203rb). Von den Initialdarstellungen des Wiener Neustädter Missales gehen zwar einige eindeutig über das Stilniveau der jüngeren Stilschicht des RD hinaus (z.B. 15v, 140v, 153r, 154v), jedoch können auch hier keine konkreten Beziehungen zu Werken des Illuminators Nikolaus nachgewiesen werden.* * *
Daß das Missale Sankt Florian, Cod. III 205 in derselben
Werkstätte wie das Wiener Neustädter Missale entstanden ist,
wird nicht nur durch die Fleuronnéeinitiale Sankt Florian,
Cod. III 205, 128r belegt, sondern auch durch stilistische
und ikonographische Beziehungen zwischen den beiden
Handschriften.
Die historisierten Initialen des St. Florianer Missales sind
in der Regel um ein bis zwei Drittel kleiner als die des
Wiener Neustädter Missales, und auch die Figuren sind – wenn
auch nicht in demselben Verhältnis – verkleinert worden.
Demzufolge sind die Darstellungen der erstgenannten
Handschrift gedrängter, überschneiden die Akteure häufiger
den Bildrand
* * *
In der besseren Ausführung unterscheidet sich das Kanonbild
des St. Florianer Missales von den meisten der übrigen
Darstellungen. Auf die enge Übereinstimmung der Gekreuzigten
der mit einem völlig identischen Rahmen versehenen
Kanonbilder beider Missalien wurde bereits hingewiesen. Das
Motiv des in der Armbeuge eingeklemmten Gewandzipfels des
St. Florianer Johannes findet sich lediglich im Wiener
Neustädter Missale wieder (Verkündigungsmaria auf 138r,
zweiter Apostel rechts des Kanonbildes), das von einer
schlaufenförmigen Röhrenfalte eingeschriebene Knie des
Johannes begegnet etwa auch beim Christus der Abendmahlszene
auf 57r des RD. Gegenüber dem Wiener Neustädter Kanonbild
sind die Gesichter der Assistenzfiguren weniger detailliert
ausgeführt, ihre Körper sind kräftiger gebaut; auch ein
Detail wie die unterschiedliche Wiedergabe der Füße des
Johannes (in derselben Form wie bei Johannes von St. Florian
auch beim Petrus auf 275r dieser Handschrift) spricht wohl
eindeutig gegen die Zuschreibung der beiden Kanonbilder an
dieselbe Hand. Die Darstellungen des St. Florianer Missales
stammen höchstwahrscheinlich von einer einzigen Hand; der
etwas altertümliche Charakter des Kanonbildes ist eventuell
auf die Vorlage zurückzuführen. Im Faltenstil stehen die
Initialbildchen auf demselben Niveau wie der Großteil der
Wiener Neustädter Darstellungen (vgl. z.B. St. Florian, 1r,
33r – Wiener Neustadt, 15v).
Einen engen ikonographischen Zusammenhang, der die Benutzung
desselben Vorlagenmaterials beweist, zeigen die beiden
Darstellungen der Segnung des Bissens beim Letzten Abendmahl
(St. Florian, 94r – Wiener Neustadt, 115v). Übereinstimmung
besteht sowohl in der Anordnung der Akteure um einen runden
Tisch als auch in zahlreichen Details (Typen, Bewegungen,
Drapierungsformeln). Da das zur Verfügung stehende Bildfeld
im St. Florianer Missale etwa um ein Drittel kleiner ist,
andererseits aber die Figürchen in beiden Darstellungen etwa
gleich groß sind, wurden in St. Florian die beiden Apostel
der mittleren Bildebene weggelassen und wurde gleichzeitig
der Bildausschnitt verkleinert, so daß sich Judas nun nicht
mehr auf sein Knie sondern auf den Wulst des
Buchstabenkörpers stützt. Außerdem wurden die Akteure enger
zusammengerückt. Der in Seitenansicht gesehene Judas findet
sich auch in der Abendmahlszene auf 57r des RD; dort
allerdings als Empfänger des ihm von Christus dargereichten
Bissens.
(⇒Anm. 29-2)
Ein möglicher Zusammenhang besteht auch zwischen den beiden
Himmelfahrtsdarstellungen (St. Florian, 19r – Wiener
Neustadt, 101r). Hier beschränkt sich die Übereinstimmung
allerdings lediglich auf die Tatsache, daß in beiden
Darstellungen ein in Rückansicht gegebener Apostel von
Akteuren – deren Zahl in St. Florian aus Platzgründen
reduziert worden ist – mit identischer Kopfhaltung flankiert
wird.
Gegen eine direkte Abhängigkeit mancher Darstellungen des
St. Florianer Missales von denen des Wiener Neustädter
Missales spricht die unterschiedliche Provenienz der beiden
Handschriften. Erstere ist auf Grund ihres Inhalts wohl in
St. Florian geschrieben und daher dort auch ausgeschmückt
worden, das Wiener Neustädter Missale ist hingegen
höchstwahrscheinlich in Wiener Neustadt entstanden.
(⇒Anm. 29-3)
Im Zusammenhang mit der Besprechung des St. Florianer Missales III 205 sagt Schmidt: "Bemerkenswert ist etwa die Übereinstimmung des Figurenstils (nicht des Rankenwerks!) mit sicher in Wien oder Niederösterreich illuminierten Handschriften wie Klosterneuburg, Cod. 23 (1401 datiert)..." (⇒Anm. 30-1). Im Faltenstil vergleichbare Darstellungen gibt es sowohl im Missale von St. Florian (am besten vergleichbar der Augustinus auf 120v, demgegenüber die ebenfalls vergleichbaren Darstellungen auf 33r und 158v von deutlich schwächerer Qualität sind) als auch im Wiener Neustädter Missale (z. B. die Maria auf 15v, während die Anna auf 154v bereits einen fortschrittlicheren Faltenstil vertritt). In der gegenüber den St. Florianer Darstellungen sorgfältigeren Malweise und vor allem auch in der Zeichnung der Physiognomien (vgl. z.B. den knienden Autor aus CCl 23 mit dem Petrus auf 101r des Wiener Neustädter Missales) steht jedoch das Widmungsbildchen aus CCl 23 dem Wiener Neustädter Missale näher. Für das großformige Rankenwerk dieser Initiale gibt es in den Blattranken des Kanonbildes und der Kalenderblätter des Wiener Neustädter Missales die stärksten Parallelen. So findet sich die Form der dreiteiligen Blatthälften, die eines mit einer Art Zipfel versehenen tropfenförmigen Blattzwickel-Goldfeldes und die der Kerzenblüte von CCl 23, 1r in den Ranken auf 5v des Wiener Neustädter Missales in derart ähnlicher Form, daß wohl auch aus diesem Grund die Tätigkeit des Illuminators von CCl 23 im Wiener Neustädter Missale angenommen werden darf.
Der Handschriftengruppe um das Wiener Neustädter Missale ist
schließlich auch noch das in der kunsthistorischen Literatur
noch nicht behandelte Lektionar in der Bibliothek
Im Figurenstil des Lyra-Meisters und der beiden Missalien lassen sich jedoch keine wirklich überzeugenden Parallelen zum Paulus des Budapester Lektionars finden. Mit dem Lyra-Meister ergeben sich nur allgemeine Berührungspunkte, etwa in der Verwendung eines Strahlenkranzes (einen sehr ähnlichen Strahlennimbus zeigt jedoch auch die Maria auf 145r des Wiener Neustädter Missales) und in der guten Qualität der Darstellung. Einem Vergleich mit dem oeuvre des Lyra-Meisters steht vor allem auch entgegen, daß eine frontal gesehene Vollfigur von der Hand desselben nicht bekannt ist. Ikonographisch entspricht der Paulus etwa dem auf 275r des St. Florianer Missales, im Figurenstil ergeben sich jedoch keine Berührungspunkte. Auch gegenüber dem Paulus auf 159v des Wiener Neustädter Missales unterscheidet sich der Budapester Apostelfürst vor allem durch den massigeren Körper und durch die reichere Binnenzeichnung des Gewandes. In den Körperproportionen ist letzterer mit dem Christus auf 87v und dem Petrus auf 153r des Wiener Neustädter Missales vergleichbar, jedoch zeigen diese wiederum einen anderen Faltenstil. Der Petrus des Budapester Lektionars bleibt somit das qualitätvolle Werk eines ansonsten in der Buchmalerei im Wiener Raum um 1400 nicht nachweisbaren Künstlers.
Die aufgezeigten Zusammenhänge zwischen den in diesem
Abschnitt behandelten Handschriften rechtfertigen es meiner
Meinung nach, in ihnen Produkte einer von 1397
(Heiligenkreuz, Cod. 1-2) bis 1404 (CCl 10) verfolgbaren
Werkstätte zu sehen. Mitglieder derselben waren mit
Sicherheit in Klosterneuburg und Wiener Neustadt tätig.
Dabei ist anzunehmen, daß – analog etwa zu den Handschriften
des Niederösterreichischen
In den engsten Umkreis der Wiener Hofwerkstätte weist der
Deckfarbenschmuck des Melker Codex 1881
(⇒Kat.-Nr.35). Er
ist – vor allem auf Grund der verwendeten Einbandstempel -
eindeutig in Wien entstanden. Da dasselbe Stempelmaterial im
wesentlichen nur auf Einbänden des 1414 gegründeten Stiftes
St. Dorothea nachweisbar ist, ist der Codex somit entweder
erst nach 1414 in St. Dorothea gebunden worden oder der
Einband ist als Produkt einer Wiener Buchbinderwerkstätte
aufzufassen, von deren Stempeln einige später in den Besitz
des genannten Stiftes übergegangen sind. Unterstützt wird
die Lokalisierung nach Wien durch die Tatsache, daß der aus
dem Besitz des Hinricus Weyss – Chormeister zu St. Stephan
zu Wien – stammende CCl 16 (datiert 1401) auf derselben
Papiersorte geschrieben worden ist.
Von den beiden in sehr hellem Rosa, Grün und Blau gehaltenen
Deckfarbeninitialen der Handschrift auf 29r und 30v (die
zweite Initiale dürfte auf Grund ihrer etwas einfacheren
Formen von anderer Hand stammen) zeigt besonders die
historisierte Initiale auf 29r enge Beziehungen zur
Buchmalerei der sog. "Hofwerkstätte". Ihre
Buchstabenkörperfüllung beziehungsweise Rankenausläufer
stimmen mit jenen der dem Lyra-Meister zugeschriebenen
Blätter Cvp 2783, 1r und New York, Pierpont Morgan Library,
M. 853, 2r eng überein. Völlig identisch ausgebildete
Buchstabenkörperfüllungen – jedoch nicht vergleichbare
Rankenausläufer – zeigen zwei aus einem St. Pöltner Missale von
1400/1410 stammende D-Initialen.
(⇒Anm. 33-2)
Für Initialen mit in
Form von Akanthusblättern hälftig geteiltem Buchstabenkörper
wie etwa auf 36v der Melker Handschrift lassen sich im
Notizen zu Heinrich Aurhaym
Wie im letzten Kapitel ausgeführt wurde, ist die Handschrift Brixen, Seminarbibl., Cod. A 12 (⇒Kat.-Nr.24) eindeutig dem Heinrich Aurhaym abzusprechen. Hingegen ist er mit Sicherheit in den in der Literatur noch nicht genannten Handschriften Heiligenkreuz, Cod. 5 (⇒Kat.-Nr.30), St. Florian, Cod. XI 478 (⇒Kat.-Nr.31) und im 1415 datierten CCl 1191 (⇒Kat.-Nr.29) nachweisbar.
Der Heiligenkreuzer Codex befand sich – nach einer Eintragung auf Bl. I*r zu schließen – ursprünglich im Besitz des Matthias Scheit, Bischof von Seckau 1481-1512. (⇒Anm. 35-1) Da der Einband der Handschrift einer Gruppe von nach Heiligenkreuz lokalisierten und ins späte 15. und beginnende 16. Jahrhundert datierten Einbänden angehört (⇒Anm. 35-2), dürfte der Codex als Geschenk aus dem Besitz des Mathias Scheit in den des Klosters übergegangen sein. Im St. Florianer Brevier, dessen Grundstock aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts stammt, hat Aurhaym nur eine Gruppe von Nachträgen ausgeschmückt. Im Brevier CCl 1191 (datiert 1415) war er gemeinsam mit zwei anderen, wenig bedeutenden Händen tätig. Die Provenienz dieser Handschrift weist ebenfalls in die Diözese Gurk; der Codex stammt aus dem Besitz des 1440 verstorbenen Petrus Semler, Propst von Straßburg in Kärnten.
Neben Rein – wo die Handschriften Cvp 1854
(⇒Kat.-Nr.32)
und Ser.n. 89 entstanden – und Sankt Pölten (Brevier XI 478)
Die Ornamentik des St. Florianer Breviers geht mit ihren flächigen Blattfüllungen (vgl. St. Florian XI 478, 387r – CCl 4, 127r) und den einfachen, vierteiligen Blättern nicht über die des CCl 4 und der 1410 datierten Moralia-Handschrift des Koloman von Mannswerd hinaus, ist daher wahrscheinlich noch im ersten Jahrzehnt entstanden. Die Heiligenkreuzer Bibel zeigt gegenüber CCl 4 und der Moralia-Handschrift kompliziertere Ranken-Blattformen und häufig auftretende – in CCl 4 noch unbekannte – wellenförmig bewegte Blattranken als Buchstabenkörperfüllung. Ihre Ornamentik entspricht den von Oettinger (⇒Anm. 36-2) überzeugend in das zweite Jahrzehnt datierten Aurhaym-Handschriften: Man vergleiche die Rankenblattformen in Heiligenkreuz, Cod. 5, 1v, 214r mit Ser.n. 89, 2r oder Heidelberg, Cod. pal. germ. 329, 20v oder CCl 1191, 45v und die Buchstabenkörperfüllungen der Initialen Heiligenkreuz, Cod. 5, 1r, 35r, 62r mit jenen der Heidelberger Handschrift auf 22v oder mit CCl 1191, 64r.
Alle Handschriften, in denen Deckfarbeninitialen des
Heinrich Aurhaym nachweisbar sind, zeigen – mit Ausnahme des
CCl 1191 – auch Fleuronnéeinitialen (z.B. St. Florian, Cod.
XI 478, 314v, CCl 4, 179r, Heiligenkreuz, Cod. 5, 1r, 20r,
Cvp 1854, 21r, Ser.n. 89, 2v, Heidelberg, Cod. pal. germ.
329). Wie bei den Handschriften der Gruppe um das Wiener
Neustädter Missale XII A 10 (vgl. z.B. CCl 23, 172v) zeigt
der Binnengrund der Initialen meist großperlige
Akathoidrosetten, die sich hier stets vor dunklem Grund
plastisch abheben. An der Außenkontur der Buchstabenkörper
setzen häufig Perlenstäbe an. Kennzeichnend für das
zweifellos von einer einzigen
Als Buchstabenkörper der Fleuronnéeinitialen diesen einfache Lombarden in Rot, Blau oder Gold oder Deckfarbeninitialen mit Blattfüllung; als Fleuronnéefarben werden Rot, Blau und – vor allem bei den Deckfarben-Buchstabenkörpern – Gold verwendet. Daß das Fleuronnée von der Hand des Heinrich Aurhaym stammt, wird durch übereinstimmende Blattfüllungen aller Deckfarben-Buchstabenkörper belegt (vgl. z.B. die Blattfüllungen der Initialen Heiligenkreuz, Cod. 5, 1r-35r). Daß auch die Lombarden-Buchstabenkörper der Fleuronnéeinitialen von seiner Hand stammen, wird durch ihre mit den Deckfarbeninitialen übereinstimmenden Formen nahegelegt. Dieselben Formen zeigen auch alle fleuronnéelosen Lombarden des Grundstocks von Cvp 1854 und des CCl 4.
Daß Aurhaym auch als Schreiber tätig war, geht aus dem Kolophon auf 104v des 1415 datierten Cvp 1854 (⇒Kat.-Nr.32) hervor, wovon er allerdings nur den 112 Blatt umfassenden Grundstock geschrieben hat. Diesen Teil und den reich illuminierten, in seiner Provenienz nicht näher bestimmbaren CCl 4 – dessen weniger kalligraphische Schrift nicht eindeutig mit der des Aurhaym identifiziert werden kann – hat Aurhaym zur Gänze ausgeschmückt, das heißt, Deckfarbeninitialen, Fleuronnée und die einfachen Lombard-Initialen sind seiner Hand zuzuschreiben.
Die drei hier erstmals für Aurhaym in Anspruch genommenen
Handschriften zeigen eine einzige figürliche Darstellung,
eine Miniatur des Sündenfalls auf 1v der Heiligenkreuzer
Schmidt (⇒Anm. 38-1) hat auf den dem Heinrich Aurhaym verwandten Stil eines nachgetragenen Gekreuzigten im Missale Sankt Florian, Cod. III 205, hingewiesen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ein Aufenthalt Aurhayms um 1410 in St. Florian nachgewiesen ist, erscheint eine Ausführung dieses Bildchens durch ihn bei dieser Gelegenheit denkbar. Auch der Rahmen der Miniatur zeigt die bei Aurhaym übliche Form, für die vor allem die markierten Gehrungsstellen (vgl. z.B. CCl 4, 40rb) charakteristisch sind.
Von den Erzeugnissen der Buchmalerei im Wiener Raum in den
ersten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts zeigen
lediglich einige Initialen in den 1403 datierten Cvp 1183-1184
(⇒Anm. 38-2)
eine zu Heinrich Aurhaym ähnliche Stilrichtung. So
ist z.B. der Isaias auf 1v von Cvp 1184 in Qualität,
Gesichtstypus, Inkarnat (Olivgrün mit zarten weißen und
roten Pinselstrichen) und strichlierender Malweise des
stellenweise stark aufgehellten Gewandes etwa den Figuren
der Epiphanieszene auf 40r in CCl 4 vergleichbar.
Für den Rankenstil des Aurhaym und für einige seiner
Ornamentmotive wie die charakteristischen Blattrosetten in
den Buchstabenkörperschäften, die geschlitzten Blätter und
gerippten Blattstengel lassen sich hingegen weder in
genannter Handschrift noch in anderen Werken der
österreichischen Buchmalerei überzeugende Analogien
nachweisen.
Das Rationale Durandi (Cvp 2765) – Die Stilschicht von 1404/06.
Dazu zählen der durch die Darstellung Herzog Wilhelms auf 1404/06 zu datierende Deckfarbenschmuck zu Beginn des sechsten und siebenten Buches (163r, 274r) (⇒Anm. 39-1) sowie die vier- bis fünfzeiligen Kapitelinitialen dieser Bücher, deren Initialbildchen zum Großteil mit 163r oder 274r in Zusammenhang stehen. Im folgenden soll zunächst untersucht werden, ob Bl. 163r und 274r, deren Deckfarbenschmuck von Schmidt (⇒Anm. 39-1) dem Illuminator Nikolaus zugeschrieben wird, eine stilistische Einheit bilden.
274r zeigt gegenüber 163r eine weniger kleinteilige Gesamtkonzeption des Deckfarbenschmucks, Rankenblätter abweichender Form und teilweise auch unterschiedlicher Farbe, monumentalere und größtenteils auch qualitätvollere Figuren und einen anderen Petrus-Typus (siehe die unterschiedliche Haartracht des Petrus der Himmelfahrt auf 163r und des Petrus in der rechten Bordüre auf 274r).
Auf 274r gibt es nur mehr drei Bas de page-Medaillons; die Figurenfelder der Seitenbordüren sind hochoval (für die Binnengründe der Medaillons werden neben Rosa und Blau nun auch – wie in CCl 65-68 – auch Schwarz und Braun verwendet). Die in ununterbrochener Wellenform verlaufende Ranke zeigt größere, an der Spitze häufig gebeulte Blattformen. Diese Blattformen, denen jene der Ausläufer der Augustinusinitiale auf 310r im wesentlichen entsprechen, finden sich nebst anderen im RD spätestens ab 185v; man vergleiche etwa 274v mit 185v und 186rb oder 310r mit 188v, 191v und 194v.
Die monumentalere Wirkung der Figuren auf 274r ist nicht bloß
ein Ergebnis der veränderten Konzeption der Bordüren; die
Intention des Illuminators zu gewaltigeren Figuren
In den Physiognomien gibt es Unterschiede sowohl zwischen Darstellungen desselben Blattes (auf 163r etwa zwischen Christus am oberen Seitenrand und den Figürchen der unteren Medaillons, auf 274r zwischen kniendem Herrscherpaar und Begleitpersonen) als auch zwischen solchen auf 163r und 274r. Auf 274r sind sie in der Regel weniger püppchenhaft, zeigen meist mehr Details, ihr Inkarnat (vor allem das der Heiligen der Seitenbordüren) ist fleckiger. Daß diese Unterschiede nicht allein als Folge des veränderten Maßstabes der Figuren aufgefaßt werden können, zeigen die Verschiedenheiten bei größenmäßig vergleichbaren Darstellungen des Christus in der oberen Bordüre sowie bei den Darstellungen Erzherzogs Wilhelm. Letzterer ist auf 274r in der Herausarbeitung der Gesichtsdetails wie in der Wiedergabe der in lange Locken gedrehten Haare (anstelle der schematischen Haarsträhnen auf 163r) weit detaillierter dargestellt und steht dem Wilhelm der Handschrift New York, Pierpont Morgan Library, M 853 näher als dem auf 163r. Hingegen ist das Gesicht Gottes auf 274r ausdruckloser als das des Christus in der Mandorla auf 163r, dessen energisches Antlitz mit den zusammengezogenen Augenbrauen an das des Augustinus auf 240vb erinnert. Das stark changierende Rosa des Gewandes des rechten Engels findet sich nur auf 274r wieder; die Engelsfiguren dieses Blattes zeigen zudem dieselbe Zeichnung der Flügelfedern, die gegenüber der auf 42r des RD weniger schematisch ist.
Beziehungen zwischen 163r und 274r sind vor allem durch den
verwandten Faltenstil gegeben, wobei ein mit 274r verwandter
Faltenstil auf 163r vor allem in den Medaillons am unteren
Seitenrand auftritt – besonders deutlich in der
Gewanddrapierung des Moses, die die der Johanna Durazzo
wiederholt, während die restlichen Darstellungen
* * *
Abgesehen von der Feststellung Oettingers (⇒Anm. 41-2), daß alle Initialen ab 237r dem Meister Nikolaus zuzuweisen sind, ist eine Händescheidung an der Masse der kleinen Initialen des RD oder eine Zuordnung von Einzelinitialen oder Initialgruppen an die am Deckfarbenschmuck der Buchanfänge beteiligten Illuminatoren noch nicht vorgenommen worden. Vorweggenommen sei, daß zwischen den Tätigkeitsbereichen der einzelnen Kräfte keine scharfen Grenzen gezogen werden können. Nicht nur hat man damit zun rechnen, daß einzelne Kräfte sich ohne gleichbleibendes System an der Ausschmückung des Textes abgewechselt haben; die Initialbildchen sind teilweise auch zu klein und/oder von zu schlechter Qualität, um Anhaltspunkte für einen stilistischen Vergleich zu gewinnen. Dazu kommt, daß auch der einfache Faltenstil der meist nur halbfigurigen Initialbildchen häufig keinerlei für einen Stilvergleich verwertbare Charakteristika bietet. Auch in der Ornamentik sind keine Zäsuren feststellbar, die mit einem Handwechsel bei den figürlichen Darstellungen zusammenfallen würden.
Trotz der oben geäußerten Schwierigkeiten lassen sich doch
Gruppen von Initialbildern feststellen, die eindeutige
Beziehungen im Stil und/oder in den verwendeten Typen zum
Deckfarbenschmuck der Buchanfänge aufweisen. So finden sich
in den Quinionen 175-194 Initialbilder, die eindeutig mit
163r, in den beiden Quinionen 235-255 Initialbilder, die mit
274r in Zusammenhang stehen. Die Ausstattung der Lage 195-204
wirkt hingegen uneinheitlich;
Die Initialfigürchen der Lagen 175-194 sind fast durchwegs Halbfiguren. Ihre Inkarnatfarben – Rot, Weiß und Grün – sind in feinster, dicht in Vertikalrichtung nebeneinandergesetzten Pinselstrichen eingetragen (z.B. 175v, 176r). Für eine Charakterisierung des Faltenstils geben die Bildchen keine Anhaltspunkte; ein Motiv wie das beim Verkündigungsengel auf 175vb unter dem Arm geraffte Gewand mit umgeschlagenen Saum findet sich bei verschiedenen Händen zuzuschreibenden Initialdarstellungen des RD (z.B. 93ra, 101ra, 196va).
Sucht man im RD nach verwandten Typen, so ergeben sich die engsten Beziehungen zu 163r. So zeigt die Maria auf 176rb denselben runden Kopf und dieselbe Wiedergabe der Haare (über Hellbraun sorgfältig in Gelb eingezeichnet) wie die Maria der Geburtsszene auf 163r. Die Inkarnatfarben sind sorgfältiger als bei dem kleineren Figürchen auf 163r verrieben. Ebenfalls der Hand auf 163r zuzuweisen ist der Petrus auf 194v. In seiner Haartracht entspricht er dem Petrus der Himmelfahrt; denselben Typus vertritt auch der Josef der Geburtsszene. Ersterer unterscheidet sich deutlich vom Petrus-Typus auf 274r und der von derselben Hand stammenden Initiale auf 252ra. Gegenüber dem Petrus auf 138r sind die Physiognomien der genannten Petrus-Darstellungen weniger haptisch ausgebildet. Der Adam der Initiale auf 191v stimmt mit dem auf 163r auch im Aussehen des Blattbüschels und in der Art wie dieses gehalten wird überein.
Die Grenze zwischen den 138r und 163r zuzuordnenden
Initialbildchen dürfte bei den Christusfigürchen auf 135va
oder 155va zu ziehen sein. Initialbildchen wie der
Schmerzensmann auf 115va und der Prophet auf 132va sind
eindeutig
Die Initialgruppe der Blätter 195-204 zeigt zu den auch größenmäßig entsprechenden Heiligenfiguren der Seitenbordüren auf 274r deutliche Übereinstimmungen. Wie dort handelt es sich um Dreiviertel-Figuren, deren Mantelumhang stark plastische Schüsselfalten ausbildet. Gleich der Katharina auf 274r wird meist nur eine einzige dieser Falten gegeben, welche parallel zum schräg geführten Mantelsaum verläuft (z.B. 196va, 201vb, 202va, 203rb). Das Inkarnat ist in der Regel wie bei den Heiligen auf 274r stark fleckig; deutlich sind etwa beim Johannes auf 203rb die roten und weißen Pinselstriche und grünen Schatten erkennbar.
Einige der qualitativ minderwertigeren Initialdarstellungen
müssen wohl einer anderen Hand zugewiesen werden. So
Von den insgesamt nur vier Bildinitialen der Lage 215-224 gleicht der im Profil gesehene Kleriker auf 217ra im Typus wie in der offenen Malweise des Gesichtes dem Wilhelm auf 274r, die Maria auf 222vb – die wie der Schmerzensmann auf 202vb einem Triptychon in der Art des im mittleren Medaillon auf 274r dargestellten entnommen sein könnte – schließt in der Figurenbewegung und harmonischen Faltengebung an Initialbilder wie auf 203rb an.
Von der auf den Blättern 195-204 und 215-224 vorherrschenden Hand stammt auch der Großteil der Initialbilder von 235-255. Dieser Kraft sind etwa zuzuschreiben der Laurentius auf 251rb, der Petrus auf 252ra – der genauso in der rechten Bordüre auf 274r wiederbegegnet –, der König auf 252va oder der Augustinus auf 240vb, der mit seinen zusammengezogenen Augenbrauen nicht nur an den Augustinus auf 274r sondern auch an den Weltenherrscher auf 163r erinnert. Von den beiden letzten Darstellungen des RD (232rb, 325rb) schließt nur die erste stilistisch an den Hauptmeister der Initialbilder von 1404/06 an.
Rund die Hälfte der um 1404/06 ausgeschmückten Lagen ist
ausschließlich mit unfigürlichen Deckfarbeninitialen
versehen worden. Diese unterscheiden sich von denen der
benachbarten Lagen vor allem durch meist kürzere
Rankenausläufer und häufig auch durch einfache, im RD
ansonsten nicht nachweisbare Blattformen
(⇒Anm. 44-1).
* * *
Bl. 138r des RD – nach Holter (⇒Anm. 45-3) 1404/06, nach Schmidt (⇒Anm. 45-4) eventuell schon 1395/1400 entstanden – steht den 1404/06 datierbaren Blättern 163r, 274r näher als den vor 1395 entstandenen 30v, 42r und 57r. Für die Datierung Schmidts spricht, daß der Internationale Stil in Form von schlankeren Figuren und stoffreicheren Gewändern auf 163r weit deutlicher in Erscheinung tritt als auf 138r (man vergleiche etwa die Kreuzigung auf 138r mit der Himmelfahrt auf 163r).
In der Konzeption des Randschmucks und in den Blattformen
ist 138r hingegen 274r eng verwandt. Während auf 30v, 42r
und 57r der die Schriftkolumnen eingrenzende Schmuck aus
drei, in loser Verbindung miteinander stehenden Elementen
besteht (Rankenbordüre am rechten, linken und oberen
Seitenrand mit kreisrunden oder ovaloiden Medaillonfeldern –
je drei kreisrunde Medaillons mit figürlichen Darstellungen
Gleich den Darstellungen auf 274r sind die Figurenmedaillons der Seitenbordüren auf 138r hochoval und mit Dreiviertelfiguren besetzt. Die mit 138r stilistisch übereinstimmenden Initialbilder (der Großteil der INitialbilder der Lagen 79-154) wirken gegenüber jenen, die mit 274r in Zusammenhang gebracht wurden, vierschrötiger und weniger glücklich proportioniert. Eine Parallele zur Gruppe der Initialbilder um 274r besteht bisweilen in der Wiedergabe der Hände (vergleiche 83ra, 132va mit 200rb, 202va).
Schmidt
(⇒Anm. 46-2)
hält es für denkbar, daß einzelnen
Darstellungen auf 163r Vorzeichnungen der Hand III – der er
die Blätter 30v, 42v und 138r des RD zuschreibt -
zugrundeliegen. An die genannten Blätter erinnern die
Faltenzüge der sicher nicht von der Hand der Medaillonszenen
auf 163r ausgeführten Maiestas Domini mit den beiden
flankierenden Engeln; die Drapierung der Engel zeigt zu
Albrecht III und seiner Gemahlin auf 30v engere Beziehungen
als zu den knienden Figuren auf 163r oder 274r. Die kleinen
Figürchen des Frühlings- und Herbst-Medaillons erinnern in
ihren gedrungenen Proportionen und mit der V-förmigen, über
die Gürtellinie herabhängenden Röhrenfalte an den Nikodemus
der Kreuzabnahmne auf 138r.
* * *
Die aufgezeigten Unterschiede zwischen 163r und 274r sowie der mit diesen Blättern in Zusammenhang gebrachten Initialgruppen machen es meiner Meinung nach wahrscheinlich, daß an der Ausführung des figürlichen Deckfarbenschmucks der genannten Stilschicht zumindestens zwei Hände beteiligt waren. Vom Meister des Blattes 274r stammt der Großteil der Initial-Darstellungen der Blätter 195-204, 215-224 und 235- 255; ihm ist wahrscheinlich auch die Ausführung des Christus in der Mandorla (eventuell über Vorzeichnung des Meisters auf 138r) mit den flankierenden Engeln auf 163r zuzuordnen. Diese Hand zeichnet sich durch monumentale, qualitätvolle Figuren mit einem stark plastischen Faltenrelief aus. Hingegen ist wohl einer anderen, schwächeren Hand zuzuweisen: Bl. 163r (die Szenen in den Medaillons am unteren Seitenrand wegen der zum Teil deutlich mit 274r übereinstimmenden Drapierung möglicherweise über Vorzeichnung der Hand von 274r) und die gegenüber den Initialen um 274r steifer und weniger raumgreifend konzipierten Initialbildchen der Blätter 195-204. Eine Hand, die sich zum Teil jenes Ornamentvokabulars bedient, das in den St. Pöltener Missale-Fragmenten und im Dürnsteiner Psalter zur Anwendung kommt, konnte in den ausschließlich mit unfigürlichen Initialen ausgestatteten Lagen der Stilschicht von 1404/06 festgestellt werden.
* * *
Der Lyra-Meister:
Holter schreibt dem Lyra-Meister neben den
Deckfarbeninitialen in Cvp 2783, einem für diesen
Illuminator namengebenden Psalmenkommentar des Nikolaus von
Lyra in der Übersetzung des Heinrich von Mügeln, Bl. 57r und
163r des RD, eine Historia de corpore Christi-Handschrift
(heute New York, Pierpont Morgan Library, M. 853) und das
Missale III 205 in Sankt Florian zu.
(⇒Anm. 47-1)
Cvp 2783:
(⇒Kat.-Nr.34)
Im Deckfarbenschmuck des Cvp 2783 gibt es sowohl im
Stil der insgesamt zehn figürlichen Darstellungen als auch
in der Ornamentik deutliche Unterschiede. So ist die
Faltenkonfiguration der beiden Initialbilder auf 1r doch
wesentlich von jener der Darstellungen auf 93r und 139v
verschieden. Bei letzteren sind anstelle des in einem
sanften Bogen am Boden aufschleifenden Gewandzipfels
tütenähnliche kleine Saumzipfel, die eine Art
"Figurensockel" bilden, übereinandergelegt; die
Binnenzeichnung des Gewandes ist kleinteiliger, unruhiger
und plastischer. Im Faltenstil den Initialbildern auf 1r
nahestehend sind der David auf 45r und die Trinität auf 183r
(in beiden Initialbildern sind im Gegensatz zum Lukas auf 1r
die Figuren mit scheibenförmigen Heiligenscheinen
ausgestattet); die Gesichtstypen
Das Initialbild auf 163vb hebt sich von den übrigen Darstellungen vor allem durch die Unmittelbarkeit des Ausdrucks der Akteure und durch das überzeugende Sitzmotiv des Herrschers ab. Das Sitzen der Figur wird hier weit eher als bei den Figuren auf 1r als ein Lasten – vergleichbar dem David auf 93r – empfunden. Die Saumfalten, deren Kontur etwas in die Tiefe führt, sind wohlgeordnet in eine Richtung übereinandergelegt, das Drapierungsschema des Mantels findet sich in dieser Art in Cvp 2783 nicht wieder (in ähnlicher Form jedoch beim Petrus auf 138r des RD). Von den übrigen Daviddarstellungen unterscheidet sich die von 163v schließlich auch noch durch die Haartracht und den hermelinbesetzten Kragen, welcher in ähnlicher Form im RD bei den Königsfiguren der Initialen 222rb und 244rb begegnet. Auch seine überzeugenden, gegenüber den anderen Daviddarstellungen in Cvp 2783 ungekünstelter wirkenden Bewegungsmotive verbinden ihn mit Initialbildchen des Meisters von 274r des RD (vgl. etwa 252va des RD). (⇒Anm. 49-1) Die übrigen thronenden Figuren gegen in ihrem Faltenstil eher mit 1r denn mit den Initialen 93r, 139v und 163v zusammen.
Auch die Ornamentik der Handschrift ist uneinheitlich; ihr
fortschrittlicher Teil stellt eine Verbindung zu
Handschriften des dritten Jahrzehnts her. Als
Buchstabenkörperfüllung findet sich stets ein flächiges
Blatt (lediglich auf 45r als Schaftfüllung ein Zickzackband)
mit paarweise zusammengefaßten Blattlappen. In halber
Schafthöhe ist eine vierteilige Blattrosette (1ra, 45r, 183r)
oder eine Kugel (1rb, 68r, 93r) interpoliert, in den
Zwickeln der Blattlappen sind Häkchen mit Deckweiß
eingesetzt. Die aufgezählten Ornamentmotive sind in genau
denselben Formen schon in der älteren Stilschicht des RD
(vergleiche z.B. Cvp 2783, 1r mit RD 29r) nachweisbar.
(⇒Anm. 49-2)
Die Blattranken zeigen zwei deutlich verschiedene Formen, die auch kombiniert auftreten (nämlich auf 163r): einfache, aus Lappen etwa gleicher Breite zusammengesetzte Blätter (1r, 45r, 139v, 163r) und Blattformen mit unterschiedlich langen Lappen, von denen die verlängerten häufig ein gewölbtes Ende aufweisen (68r, 93r, 114v, 163r unterer Rankenast, 183r). Die erstgenannte Form ist unspezifisch; sie ist im RD etwa in den Rankenausläufern der ersten bis letzten Initialen nachweisbar. Die andere, im RD nicht nachweisbare Blattform, steht hingegen einer in den frühen 20er Jahren im Umkreis des Illuminators Nikolaus verwendeten Blattform schon sehr nahe (vgl. CCl 67, 61v, CCl 128, 198v und vor allem CCl 602, 164v). (⇒Anm. 50-1) Ebenso sind die Blüten- und Fruchtmotive auf 114v und 139v nicht im RD aber in sehr ähnlicher Form in den 1421 datierten CCl 128 und 129 nachzuweisen (Die Kerzenblüte von Cvp 2783, 114v entspricht der in CCl 129, 49r, die erdbeerähnliche Frucht von Cvp 2783, 139v der in CCl 128, 103v).
Die aufgezählten Unterschiede in Figurenstil und Ornamentik
lassen die Annahme eines Zusammenarbeitens mehrerer Hände am
Deckfarbenschmuck von Cvp 2783 für gerechtfertigt
erscheinen. Der enge werkstattmäßige Zusammenhang wird nicht
nur durch die einheitliche Konzeption der Bilder (vor
gemustertem Ehrentuch Thronende) und durch einzelne Motive
der Deckfarbenornamentik belegt, sondern auch durch die
einheitliche Sekundärornamentik auf den mit
Deckfarbeninitialen ausgestatteten Doppelblättern. Deren
Lombarden stammen von anderer Hand als die restlichen der
Handschrift (erstere in sorgfältigerem Duktus und dünklerem
Blau). Dasselbe gilt für alle fünf mit Fleuronnéeschmuck
versehenen Lombardinitialen auf diesen Doppelblättern -
* * *
New York, Pierpont Morgan Library, M. 853: 1v enthält ein halbseitiges Widmungsbild Herzogs Wilhelm; darunter ein ebenso großes Feld mit den seitenverkehrt wiedergegebenen Länderwappen Kärnten, Krain, Steiermark und Tirol und mit dem Wappen der Johanna von Durazzo. 2r zeigt eine Bildinitiale mit einem halbfigurigen Schmerzensmann und – im Medaillon am unteren Seitenrand – den Bindenschild mit Pfauenstoß. Die Struktur des Randschmucks auf 2r, wo den Schriftspiegel rahmende dünne Stäbe das Gerüst für den üppigen Blattrankenschmuck bilden, findet sich in sehr ähnlicher Form auf Cvp 2783, 1r. (⇒Anm. 51-2)
Eine vergleichbare Rankenornamentik begegnet im RD auf 163r. Die Blattformen der wellenförmigen Ranken zwischen den Kolumnen auf 163r entsprechen jenen der Initialausläufer der beiden genannten Handschriften, die Kerzenblüten der Historia-Handschrift, die in ähnlicher Form schon auf 1v und 2r des RD nachgewiesen werden können, sind Zwickelblüten der Szenen-Medaillons auf 163r eng verwandt (man beachte den identischen Duktus der aufbrechenden Hüllblätter der Blüte rechts unten in der Historia-Handschrift und der mittleren der Zwickel-Blüten am unteren Seitenrand von 163r des RD).
Die Rankenformen von 1v entsprechen denen auf 21r, jedoch
sind auf 1v die tropfenförmigen Goldblüten als parallele
Kreisbögen gegeben – wie auch bei jenen beiden Initialen,
Von derselben Hand, die diese Goldblüten eingesetzt hat, stammt das in Gold und Rosa(?) gemalte Fleuronnée, das jener Kraft zuzuschreiben ist, die unter anderem für das Fleuronnée der mit Deckfarbeninitialen ausgestatteten Blätter in Cvp 2783 verantwortlich ist. Hingegen stammen die beiden Fleuronnéeinitialen auf 1r der Historia-Handschrift von der Hand des Fleuronnées im 1402 datierten Cvp 381. (⇒Anm. 52-1)
Dem Schmerzensmann auf 2r kommt von den halbfigurigen
Aktdarstellungen des RD (115va, 191va, 202vb), die des Adam
auf 191va (vgl. die Halspartie) nahe; ähnlich krallenartige
Hände wie der Schmerzensmann zeigen Figürchen auf 163r des
RD (z.B. Maria der Geburtsszene). Mit Sicherheit
ausschließen kann man einen Zusammenhang zu den Initialen um
138r des RD (vgl. den Schmerzensmann auf 115va), wohl auch
zu den mit Bl. 274r des RD in Zusammenhang gebrachten
Initialen (der Schmerzensmann auf 202vb des RD zeigt eine
offenere Malweise, ein gröberes Gesicht und eine abweichende
Körperhaltung, die im Retabel-Schmerzensmann des mittleren
Bas de page-Medaillons auf 274r wiederbegegnet).
Herzog Wilhelm auf 1v ist wie auf 163r und 274r in Profil als kniend Betender gegeben, das Ende eines Schriftbandes in den Händen haltend. Die etwa an der Wiedergabe der Haartracht ablesbare Qualität der Ausführung rückt die Figur der Historia-Handschrift in die Nähe der von 274r des RD, so daß meines Erachtens die Möglichkeit einer Zuweisung des Figurenschmucks auf 1v und 2r an zwei verschiedene Hände besteht.
* * *
Cvp 381: (⇒Kat.-Nr.33) Der werkstattmäßige Zusammenhang der 1402 datierten Handschrift zur jüngeren Historia-Handschrift wird durch die Tätigkeit desselben Florators in beiden Handschriften belegt, der als Mitglied jener Werkstätte aufzufassen ist, in der auch der Deckfarbenschmuck der beiden Handschriften entstanden ist. Denn die Möglichkeit, daß das Fleuronnée vom Schreiber eingesetzt worden ist, scheidet hier aus, da die Codices von verschiedenen Händen geschrieben worden sind. Da die Handschriften zudem für verschiedene Auftraggeber bestimmt waren (Erzherzog Wilhelm, Andreas Plank), ist es auch unwahrscheinlich, daß das Fleuronnée von einer Hand eingesetzt worden ist, die im Skriptorium des Auftraggebers – analog zu den in Klosterneuburg beschäftigten Floratoren (⇒Anm. 53-1) – tätig gewesen ist.
Die Ornamentik des Deckfarbenschmucks von Cvp 381 zeigt
Ähnlichkeiten zu der der beiden oben genannten
Handschriften
(⇒Anm. 53-2).
Deutlicher sind jedoch die Beziehungen
zum Deckfarbenschmuck der jüngeren Stilschicht des RD. So
findet sich beispielsweise in den Initialen auf 202v des RD
die in leichter Wellenbewegung streng vertikal verlaufenden
Dem Orosius aus Cvp 381 stehen in Sitzhaltung und Drapierung die Initialbilder auf 1r und 139v in Cvp 2783 nahe. Diesem gegenüber ist das Faltenrelief des Orosius jedoch seichter, großformiger, und das Gewand knickt – abgesehen vom vorderen Gewandzipel – nicht am Boden um. Den weich fließenden Faltenzügen dieses Autorbildchens kommen von den figürlichen Darstellungen in Cvp 2783 die auf 1r am nächsten; nur dort gibt es in Cvp 2783 auch ähnliche Physiognomien – man vergleiche etwa den Orosius mit dem Propheten im rechten unteren Medaillon auf 1r in Cvp 2783: Übereinstimmung besteht im dunklen Inkarnat und den weiß gepunkteten Augenbrauen.
Die drei besprochenen Handschriften bilden weder im
Figurenstil noch in der Ornamentik eine homogene Gruppe. Die
Ornamentik verbindet die Handschriften nur teilweise
miteinander (identisches Rahmensystem in Cvp 2783 und in
der Historia-Handschrift; Fleuronnée jeweils einer der
beiden in der Historia-Handschrift nachweisbaren Hände in
Cvp 2783 und Cvp 381). In Cvp 2783 waren am
Deckfarbenschmuck mit Sicherheit mehrere, in der Historia-Handschrift
sehr wahrscheinlich zwei Hände beteiligt. Am
überzeugendsten erscheint der Zusammenhang zwischen 2r der
Historia-Handschrift und 1r von Cvp 2783. Von derselben Hand
stammt zweifellos der Großteil der Initialen aus Cvp 2783
(auszuschließen ist dies lediglich für 93r, 139v, 163v).
Eine
Die Übereinstimmungen zwischen den oben genannten Werken des Lyra-Meisters und den von Holter (⇒Anm. 55-1) ihm zugeschriebenen Blättern 57r und 163r des RD sind meines Erachtens in dieser Hinsicht nicht ausreichend. Mit den Darstellungen auf 57r verbindet den Lyra-Meister die sorgfältigere Malweise, die gegenüber den Figuren auf 42r und 138r des RD ausdrucksloseren Gesichter und die fließenden Faltenzüge, welche im Cvp 2783 wenig an Plastizität gewonnen haben, aber beim Aufstoßen auf den Boden schon stärker gebrochen sind. Im Typus ist der Lucas aus Cvp 2783 in etwa dem Christus der Abendmahlszene vergleichbar, in der sorgfältigeren Behandlung des hell ausgeführten Inkarnats der David auf 1r des Psalmenkommentars mit der Beatrix von Hohenzollern. Auf 163r des RD zeigt der Josef der Geburtsszene eine zu den Initialbildern auf 1r und 183r des Cvp 2783 vergleichbare Drapierung, die Maria derselben Szene eine ähnliche Handhaltung wie der Schmerzensmann der Historia-Handschrift; der Prophet der Initiale auf 185vb des RD ist im Typus eng verwandt dem des rechten unteren Medaillons auf 1r in Cvp 2783.
Zwischen Cvp 2783 und dem Antiphonar CCl 65-68 bestehen
Beziehungen sowohl in der Ornamentik als auch im
Figurenstil.
Die Illuminator Nikolaus zugeschriebenen figürlichen Initialen des Antiphonars CCl 65-68 und verwandte Werke
Im Antiphonar CCl 65-68 werden insgesamt 12 Initialen dem Illuminator Nikolaus zugeschrieben: CCl 65, 1r (Jeremias), CCl 65, 2v (David), CCl 66, 327v (Verkündigung), CCl 66, 132r (Ostermorgen), CCl 66, 221 (Himmelfahrt), CCl 67, 16v (Gnadenstuhl), CCl 67, 28v (Opfer des Melchisedech), CCl 67, 43v (Johannes der Täufer), CCl 67, 61v (Petrus), CCl 67, 196r (Strahlenkranzmadonna), CCl 68, 13r (Schutzmantelmadonna), CCl 68, 44r (Christus und Zachäus) (⇒Anm. 56-1). Zwischen diesen gibt es sowohl Unterschiede in der Ornamentik (⇒Anm. 56-2) als auch im Stil. Letztere sollen im folgenden aufgezeigt werden.
Wegen der Gleichartigkeit des Sujets bietet sich ein
Vergleich zwischen den beiden aufeinanderfolgenden
ganzfigurigen Darstellungen einer Madonna mit Kind an (CCl 67,
196r – Strahlenkranzmadonna, CCl 68, 13r – Schutzmantelmadonna),
die deutliche Unterschiede in der Malweise und im
Gesichtstypus zeigen. Das Inkarnat der Schutzmantelmadonna
und des Kindes ist hell und glatt; die Gesichtsfarben –
darunter etwas Graugrün – sorgfältig verrieben. Die Madonna
trägt ein hellrosa gefüttertes, blaues, stellenweise stark
mit Deckweiß aufgehelltes Kleid, das deutlich die vertikalen
Pinselstriche erkennen läßt. In genau denselben Farbtönen
ist die Kleidung Gottvaters auf CCl 67, 16v (dasselbe Blaßrosa
dort auch im Initialrahmen und in den Blüten der Ranke) und
der Himmelfahrtsmaria auf CCl 66, 221r gehalten; die Pinselstriche
treten dort weniger in Erscheinung. Demgegenüber zeigt die
Gewandung der Strahlenkranzmadonna ein dünkleres Blau, die
Abschattierung erfolgt weniger durch Pinselstriche denn
durch dunkle Farbtupfer. Im Farbton und der
"pointillistischen"
Leider ist nicht eindeutig zu bestimmen, inwieweit die aufgezählten Unterschiede zwischen den beiden Madonnendarstellungen auf spätere Ergänzungen zurückzuführen sind. Das Gesicht der Strahlenkranzmadonna ist leicht beschädigt, die in schwarzer Tinte nachgezogenen oder angedeuteten Teile (Finger von Marias Rechter, Finger und Zehen des Kindes) dürften erst später hinzugesetzt worden sein. Ob jedoch auch die Binnenzeichnung der Gesichter später ergänzt wurde, ist kaum zu beurteilen. Ein ähnliches Gesicht mit vorspringender Nase zeigt die Maria aus CCl 273 (6r), ein vergleichbar sorglos eingetragenes rotes Inkarnat der Johannes in CCl 37 (1r).
Einen deutlichen Unterschied im Drapierungsstil zeigen die Figuren der Himmelfahrt (CCl 66, 221r) gegenüber den Marien des Ostermorgens (CCl 66, 132r). Bei letzteren erscheint das Gewand straffer um den Körper gezogen, was den Figuren ein plumperes Aussehen verleiht (man vergleiche etwa die Maria mit dem Salbgefäß und den Apostel am rechten Bildrand der Himmelfahrtsszene); das Inkarnat ist – wie bei Johannes dem Täufer und der Strahlenkranzmadonna – rotfleckig.
Ähnlich wie bei den Marienfiguren gibt es auch bei den
männlichen Figuren solche mit sehr qualitätvoller, detaillierter Zeichnung
der Gesichter (Jeremias, David, Himmelfahrt) und solche, die
sich durch ihr fleckiges Inkarnat und/oder ihre summarische
Behandlung der Gesichtsdetails (Johannes der Täufer,
Die Art der Terrain-Wiedergabe bei den in Rede stehenden
Initialen begegnet in denselben Formen auf 163r des RD,
wobei die Übereinstimmungen teilweise so eng sind, daß
zumindestens auf einen werkstattmäßigen Zusammenhang
geschlossen werden darf. Das Terrain ist im Antiphonar
entweder als bräunlicher Felsgrund (Himmelfahrt,
Schutzmantelmadonna) oder als Wiesengrund wiedergegeben.
Letzterer zeigt nur bei Jeremias und Johannes Baptista eine
deutliche Aufhellung zum Vodergrund zu (vergleichbar auch
Melchisedech), während bei David, Christus und Zachäus und
beim größten Teil des Wiesengrundes in der Melchisedech-Initiale
die Gräser und streumusterartig verteilte,
schematische Blattsterne vor in einem einheitlichen,
dünkleren Farbton gehaltenen Grund stehen. Besonders
deutlich ist die Übereinstimmung in der Wiedergabe der
Vegetation zwischen der Christus und Zachäus-Szene und der
des Sündenfalls auf 163r des RD: Bei letzterer findet sich
nicht nur genau dieselbe Art des Wiesengrundes (ein zum
vorderen Bildrand zu auf ähnliche Weise abbrechender Felsen
wie in der Christus und Zachäus-Szene in der Himmelfahrt des
RD) sondern auch eine völlig identische Zeichnung der
Baumblätter: sternartige Formen, die – an das in der Regel
weniger schematische Laubwerk im Antwerpener Martyrologium
(um 1410) erinnernd
(⇒Anm. 58-1)
–
in drei Farbabstufungen (zwei Grüntöne und Gelb)
kontinuierlich aus dem dunklen Hintergrund herausgearbeitet werden.
Die Unterschiede innerhalb der figürlichen Darstellungen der dem Nikolaus zugeschriebenen Antiphonar-Initialen sind meines Erachtens nach zu groß, um annehmen zu können, daß alle Darstellungen zur Gänze von einer einzigen Hand ausgeführt worden sind. Es sind vor allem vier Initialdarstellungen, die sich durch unterschiedliche Gesichtstypen, durch ihre Malweise oder durch ihr Kolorit vom Rest der Initialen unterscheiden: CCl 66, 327v (Verkündigung), CCl 66, 132r (Ostermorgen), CCl 67, 43v (Johanner der Täufer), CCl 68, 44r (Christus und Zachäus); Initialbilder, deren Ausführung wohl einem engen Mitarbeiter des Nikolaus übertragen worden war. Möglicherweise ist auch die Strahlenkranzmadonna, deren ursprüngliches Aussehen nicht eindeutig feststeht, von dieser Hilfskraft geschaffen worden.
Ein den Initialen des Illuminators Nikolaus (z.B. Jeremias,
David, Gnadenstuhl-Dreifaltigkeit) grundsätzlich
vergleichbarer Stil – sorgfältig ausgeführte, monumentale
Figuren mit plastischen Faltenzügen – findet sich im RD auf
274r und in den damit in Zusammenhang gebrachten
Initialgruppen. Daß Petrus und Paulus auf 274r in denselben
Typen wie in der Himmelfahrt des Antiphonars begegnen, hat
schon Oettinger erwähnt
(⇒Anm. 59-1);
eine dem Melchisedech in der
kurzen kräftigen Nase und der lockeren Zeichnung der
Barthaare vergleichbare Prophetendarstellung findet sich auf
202va des RD. Ein näherer Vergleich des Faltenstils der
beiden Handschriften wird jedoch nicht nur durch den
zeitlichen Abstand sondern auch dadurch erschwert, daß der
genannte Teil des RD weder Darstellungen thronender Figuren
noch ganzfigurig stehender – sieht man von den für einen
stilistischen Vergleich ungeeigneten Begleitpersonen des
Stifterpaares auf 274r ab – enthält.
Von den Initialbildern des Cvp 2783 kommen die auf 93r und
139v mit ihren plastischen Faltenzügen und in der Ausbildung
der am Boden aufstoßenden Gewandpartie dem Faltenstil der
sitzenden Antiphonar-Figuren (Jeremias, Johannes Bapt.) noch
am nächsten.
Die einer Hilfskraft zugeschriebenen Initialbilder zeigen Beziehungen zum Lyra-Meister und Bl. 163r des RD. Die Drapierung der Verkündigungsmaria entspricht mit ihren regelmäßig angeordneten Röhrenfalten und den beiden großen Saumzipfeln der des Lucas und David auf 1r von Cvp 2783 deutlicher als dem von Oettinger (⇒Anm. 60-1) zum Vergleich herangezogenen Augustinus auf 310r des RD. Das Motiv des mit einem Knauf besetzten Pfostens findet sich an den Thronmöbeln des Lucas und der Verkündigungsmaria; ihre pointillistische Maltechnik begegnet auch im David. In der Himmelfahrtsszene auf 163r des RD tritt derselbe Petrus-Typ wie in der Christus und Zachäus-Szene des Antiphonars auf; die Farbzusammenstellung (ein sehr helles Rosa, Blau, Grün, Zinnober) entspricht – in genau derselben Tönung – in beiden Szenen. Im Faltenstil unterscheidet sich die Christus und Zachäus-Szene lediglich durch die etwas stoffreicher gewordenen Gewänder.
* * *
Im folgenden soll das Verhältnis des Turs Missale-Kanonbildes und der figürlichen Darstellungen in Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts zu den besprochenen Antiphonar-Initialen untersucht werden.
Besonders enge Beziehungen zum Antiphonar zeigt der
Buchschmuck der CCl 36-38
(⇒Kat.-Nr.39).
Auf diese drei Bände mit der Catena aurea des Thomas von Aquin ist wohl
die 1420 zu datierende Notiz über die Stiftung einer
Geldsumma pro quibus est empta glosa continua beati
Thome... zu beziehen
(⇒Anm. 60-1).
Am Buchschmuck waren vier oder fünf Kräfte beteiligt, die alle auch in anderen Klosterneuburger Handschriften – jedoch nur solchen des dritten Jahrzehnts – nachweisbar sind. Der Deckfarbenschmuck stammt von einer einzigen Hand; die Lombarden sind von vier verschiedenen Händen eingetragen, wobei nur eine ihre Initialen fallweise auch mit Fleuronnée ausgestattet hat (⇒Anm. 61-1).
Nur CCl 37 ist mit einer historisierten Initiale versehen;
mit einer Darstellung des auf einem Baldachinthron sitzenden
und schreibenden Evangelisten Johannes, welche seit
Oettinger
(⇒Anm. 61-2)
dem Illuminator Nikolaus zugeschrieben wird.
Oettinger meint, daß die Bildinitiale denen des Antiphonars
aufs engste verwandt sei und verweist auf die
Verkündigungsszene CCl 66, 327v. Übereinstimmungen bestehen
in der vergleichbaren Haltung der Figuren, in der Verwendung
eines ähnlichen Sitzmöbels
(⇒Anm. 61-3)
und im grundsätzlich
verwandten Faltenstil, der vom Knie ausgehende,
röhrenförmige Falten zeigt. Das Inkarnat, das in beiden
Fällen über Deckweiß feine rote Strichelchen und Punkte
zeigt, ist bei der Marienfigur sorgfältiger ausgeführt. Das
grüne Gewand des Johannes ist durch deutlich erkennbare
gelbe Pinselstriche gehöht, eine Abschattierung durch dunkle
Farbpunkte wie im unteren Teil des Gewandes der Maria
erfolgt nicht. Der Heiligenschein ist – wie auch bei der
Maria in CCl 273 – in der Art der Heiligengloriolen des
Antiphonars gegeben: als goldene Strahlen über ockerfarbenem
Grund. Mit der Christus und Zachäus-Initiale (CCl 68, 44r) hat
die historisierte aus CCl 37 den völlig identisch punzierten
Rahmen gemein
(⇒Anm. 61-4);
das Gewand der Profilfigur in
erstgenannter Szene stimmt im Farbton des Grün und in dessen
streifiger Gelbhöhung mit dem des Johannes überein.
Die Rankenornamentik von CCl 36-38, die zweifellos von einer einzigen Hand ausgeführt worden ist (⇒Anm. 62-1), zeigt deutliche Beziehungen zum Antiphonar. Grundsätzlich dieselbe Art der Buchstabenkörperfüllung durch räumlich bewegte, dreilappige Blätter wie in CCl 37 und 38 findet sich bei den Initialen CCl 67, 43v und CCl 68, 44r, aber auch in einer Reihe von Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts (z.B. CCl 129, 49r). Das Schema des Rankenverlaufs – geradlinig verlaufende Stengel oder Stab mit Blattmedaillons etwa in Höhe des Initialkörpers und einer weiteren Rankenschlinge beim Übergang zur wellenförmig auslaufenden Ranke des unteren Seitenrandes – ist das der Mehrheit der historisierten "Nikolaus"-Initialen des Antiphonars. Dort sind auch alle Einzelmotive der Blattranken aus CCl 36-38 nachweisbar. So findet sich auf 196r in CCl 67 das Motiv der in den Rankenstengel interpolierten Blattmaske, und die Rankenblattformen des genannten Antiphonarblattes sind mit jenen von CCl 38, 1r völlig identisch.
Am deutlichsten sind die Beziehungen zwischen CCl 37, 1r und
der Ostermorgen-Initiale CCl 66, 132r
(⇒Anm. 62-2).
In beiden Fällen
windet sich der untere Rankenausläufer der Initiale mehrmals
um den Vertikalstab, die Verästelungen des Ausläufers sind
mit Blättern von in beiden Handschriften völlig identischer
Form besetzt – die größeren unter ihnen in der vom
Antiphonar her bekannten sechsteiligen Form –, die in
Richtung unterer Seitenrand hin kontinuierlich kleiner
werden. Der mit großen Goldpunkten besetzte Stab zeigt beim
Übergang in die Randleiste des unteren Seitenrandes
dasselbe glockenähnliche Motiv. Übereinstimmung besteht
auch
Das Kanonbild des von Wilhelm Turs (Dompropst zu St.
Stephan 1404-1439) gestifteten Missales (Wien, Dom- und
Diözesanmuseum, Cod. B 64) wird seit Oettinger
(⇒Anm. 63-1)
dem
Illuminator Nikolaus zugeschrieben und in der Literatur
zwischen 1425/30
(⇒Anm. 63-2)
und um 1430
(⇒Anm. 63-3)
datiert.
Von den Initialbildern des Antiphonars bietet sich vor allem
die Himmelfahrt und die Strahlenkranzmadonna zum Vergleich
an (CCl 66, 221r bzw. CCl 67, 196r). Die Himmelfahrtsszene – auf deren Verwandtschaft schon
Oettinger a.O. hingewiesen hat – zeigt bei der Maria eine
übereinstimmende Drapierung des über den Kopf gezogenen
Mantelteils und des darunterliegenden Schleiers, bei Maria
und Johannes vergleichbare Physiognomien
(⇒Anm. 63-4);
Johannes vollführt in beiden Fällen dieselbe Geste. Die
Strahlenkranzmadonna zeigt dieselbe Ponderation und eine
weitgehend identische Abfolge von Faltenformeln wie der
Johannes des Turs-Missales; im Faltenwurf des Untergewandes
ist mit dem Letztgenannten
Gegenüber den genannten Initialbildern des Antiphonars unterscheiden sich die Assistenzfiguren des Turs-Missales jedoch durch die stärkere Plastizität ihrer Falten. Daß das seiner Konzeption nach dem Johannes des Turs-Missales entsprechende Faltenrelief der Strahlenkranzmadonna deutlich scharfkantiger und seichter ist, könnte vielleicht durch die Annahme erklärt werden, daß nur die Vorzeichnung derselben von Meister des Turs Missale-Kanonbildes stammt, die Ausführung jedoch einer anderen Hand – dem Meister des Deckfarbenschmucks von CCl 36-38 – übertragen worden ist. Vergleichbar plastische Faltenzüge zeigen hingegen die ersten beiden Darstellungen des Antiphonars (Jeremias, David) – der David ist auch im Figurenschwung und in den Proportionen mit dem Johannes gut vergleichbar –, ebenso die Initialbildchen der Stilschicht von 1404/06 des RD (z.B. 200rb, 202va). In genannter Stilschicht findet sich auch der nach vorne auslaufende Gewandzipfel des Wilhelm Turs wieder (Moses auf 163r und Herzogspaar auf 274r).
Der Faltenwurf der Assistenzfiguren des Turs-Missales wirkt gegenüber den Figuren des Antiphonars insoferne etwas fortschrittlicher, als einzelne Faltenzüge am Boden umknicken. In den stehenden Figuren des Antiphonars ist die Tendenz, das Gewand in ungebrochenen Kurzen am Boden auslaufen zu lassen, noch deutlicher ausgeprägt, doch lassen sich auch vergleichbare Drapierungsformeln beim Aufstoßen des Gewandes am Boden nachweisen (Johannes der Himmelfahrt, Engel des Ostermorgens, Verkündigungsmaria).
Für die Maria des Turs-Missales findet sich im Antiphonar
keine vergleichbare Figur. Standmotiv und Teile des
Drapierungsschemas könnten von Vorbildern in der Art der
Rastenberger Madonna
(⇒Anm. 64-1)
übernommen worden sein. Verglichen
mit dieser ist die Turs-Missale-Maria stämmiger, enger in
Der enge Zusammenhang des Turs-Missales zu der in
Klosterneuburg in den frühen zwanziger Jahren tätigen
Werkstatt wird durch die kompliziert geformten Eckblätter
der Kanonbild-Bordüre
(⇒Anm. 65-2),
die ebenso in den Ausläufern
der Initiale CCl 66, 327r (auf der Versoseite Verkündigung)
vorkommen, belegt – und dadurch, daß jene Hand, die die
Lombarden des Turs-Missales ausgeführt hat, in
Klosterneuburger Handschriften der Jahre 1420/22 nachweisbar
ist.
(⇒Anm. 65-3)
Der Deckfarbenschmuck der jeweils mit einer einzigen figürlichen Initiale ausgestatteten CCl 273, CCl 35 und CCl 290 wird von Oettinger (⇒Anm. 66-1) dem 1424/28 in Rechnungsbüchern des Stiftes Klosterneuburg nachweisbaren Illuminator Veit zugeschrieben. Schmidt (⇒Anm. 66-2) betrachtet hingegen das Marienbildchen auf 6r in CCl 273 als Spätwerk des Nikolaus und datiert "1425/1430".
Die Maria aus CCl 273 (6r) zeigt im Faltenwurf stärkere
Parallelen zum Turs-Missale als zu vergleichbaren
Mariendarstellungen des Antiphonars (vgl. CCl 66, 221r; CCl 67,
196r; CCl 68, 13r). Die Drapierung der linken Körperseite ist
der der Maria des Turs-Missales ähnlich, die der rechten –
mit dem am Boden umknickenden Gewandteil – ist mit dem
Faltenwurf an der rechten Körperseite des Johannes
vergleichbar. Die im Antiphonar in dieser Form nicht
nachweisbaren Drapierungsmotive reichen zwar alleine wohl
nicht für eine Zuschreibung an den Künstler des Turs
Missale-Kanonbildes, also an Illuminator Nikolaus aus – auch nicht
für die Annahme einer direkten Abhängigkeit des CCl 273 vom
Turs-Missale (diese Übereinstimmungen könnten auch durch
Verwendung eines ähnlichen Vorlagenmaterials erklärt
werden) –, doch spricht auch die Qualität der Ausführung für
die Hand des Nikolaus. In der sorgfältigen Wiedergabe des
Kindes und des Gesichtes Mariens
(⇒Anm. 66-3)
steht das
Initialbildchen von CCl 273 der Schutzmantelmadonna näher
als der Strahlenkranzmadonna; auch gegenüber der größeren
Darstellung des Johannes in CCl 37 unterscheidet sich die
Marienphysiognomie in CCl 273 durch größere Sorgfalt in der
Wiedergabe der Gesichtsdetails (und auch durch das mit Grau
versetzte Inkarnat).
Der geringfügig knittriger wirkende Faltenwurf und die Verwertung neuer, im Antiphonar noch nicht verwendeter Vorlagen in CCl 273 und im Turs Missale-Kanonbild legen eine Datierung nach Vollendung des Antiphonars nahe. Allerdings wird man wegen der engen Übereinstimmung der Deckfarbenornamentik mit Handschriften der frühen zwanziger Jahre (⇒Anm. 67-1) die für beide Codices angenommene Datierung von 1425/30 vielleicht schon auf um 1425 korrigieren dürfen.
In seiner detaillierten und sorgfältig ausgeführten Physiognomie steht auch der Albertus Magnus des CCl 35 den Antiphonar-Initialen des Nikolaus nahe. Der Stil des ikonographisch mit dem Lucas auf 1r in Cvp 2783 übereinstimmenden Autorbildchens bestätigt die auch von der Ornamentik (⇒Anm. 67-2) her begründbare Datierung von 1425/30: Die Drapierung ist gegenüber der des Lucas aber auch gegenüber der besser vergleichbaren des Johannes Bapt. (CCl 67, 43v) kleinteiliger geworden, das Figürchen wirkt massiver. In der Qualität der Ausführung steht der Albertus dem Meister Nikolaus nahe. Gegenüber den Figürchen in CCl 37, CCl 273 und CCl 290 ist die Physiognomie des Albertus Magnus in CCl 35 am genauesten ausgeführt. Sie zeigt kleine Augen, einen schmalen Mund und eine gerade Nase mit zwei wie bei Jeremias und den beiden rechten Aposteln der Himmelfahrt an der Nasenwurzel ansetzenden, parallel zu den Augenbrauen verlaufenden Falten.
Daß die Darstellung in CCl 290 (Thomas von Aquin in
Figurennische
(⇒Anm. 67-3))
– wie Oettinger a.O. meint – von
derselben Hand stammt, ist wegen des Mangels an
vergleichbaren Details (Figürchen in CCl 290 etwa 4 cm hoch,
kleiner als der sitzende Albertus in CCl 35) nicht zu
beweisen. Die sehr schematische Wiedergabe der Physiognomie
spricht eher dagegen. Auch die Rankenausläufer beider
Handschriften zeigen nur eine allgemeine Übereinstimmung in
den Blattformen.
Buchmalerei in Klosterneuburg im 3. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts – Die Ornamentik
In diesem Jahrzehnt liegt – dem erhaltenen Bestand nach zu urteilen – der Höhepunkt der Buchmalerei im Stift Klosterneuburg in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Produktion von mit Deckfarbenschmuck und/oder Fleuronnéeinitialen ausgestatteten Handschriften setzt schlagartig um 1420 ein; in Codices der Zeit um 1400 bis 1420 fehlt hingegen – soferne sie nicht der oben behandelten "Gruppe um 1400" angehören – Deckfarbenschmuck zur Gänze und auch Fleuronéeinitialen fehlen fast völlig. Der Wiederaufschwung um 1420 ist wohl auch im Zusammenhang mit der Visitation von 1418 (⇒Anm. 68-1) und der dabei erfolgten Einsetzung eines neuen Propstes, Georg Müstinger (1418-1442), der sich auch als Astronom einen Namen machen sollte, zu sehen.
Mit den Klosterneuburger Handschriften dieses Zeitraumes hat
sich erstmals genauer Oettinger
(⇒Anm. 68-2)
beschäftigt. Er geht
von insgesamt 12 Handschriften aus, deren Entstehung in
diesem Jahrzehnt durch Schreibervermerke oder
Rechnungsbucheintragungen gesichert ist. Diese – und die
übrigen ihm bekannten illuminierten Klosterneuburger
Handschriften des dritten Jahrzehnts – verteilt er auf die
in den Rechnungsbüchern des Stiftes erwähnten drei
Illuminatoren Nikolaus, Veit und Michael. Nikolaus, der nur
von 1420-24 vorkommt, hat nach Oettinger gemeinsam mit
Michael an den CCl 65-68 gearbeitet und den Schmuck von CCl 37
geschaffen, Veit, der nur zwischen 1424 und 1428 erwähnt
wird, hat CCl 44-46 (1424), CCl 47 (1427), CCl 34 (1427), CCl 139 (1428)
sowie die undatierten
Was dafür spricht, daß die 1420/24 des öfteren gemeinsam in den Rechnungsbüchern genannten Illuminatoren Nikolaus und Michael an CCl 65-68 gearbeitet haben, ist der Umstand, daß einige der Rechnungsvermerke dieser Jahre, die eindeutig auf ein großes, in Arbeit befindliches Antiphonar hinweisen (⇒Anm. 69-2), gemeinsam mit solchen, die Zahlungen an die oben genannten Illuminatoren beinhalten, eingetragen wurden (⇒Anm. 69-3). Die Zuschreibung einer Gruppe von unfigürlichen Initialen im Antiphonar an Michael ist insoferne berechtigt, als ihr Stil sich in jüngeren Klosterneuburger Handschriften (CCl 78, CCl 613, CCl 682) wiederfindet; Michael aber der einzige der drei genannten Illuminatoren ist, der nach 1430 – nämlich 1437 und 1438 – in den Rechnungsbüchern genannt wird. Dadurch aber, daß eine Initialengruppe des Antiphonars dem Illuminator zugeschrieben werden kann, ist es auch zulässig, die übrigen historisierten Initialen der genannten CCl 65-68, die sich stilistisch von denen Michaels unterscheiden, mit dem Illuminator Nikolaus in Verbindung zu bringen.
Die Ansicht Oettingers, daß alle von ihm angeführten
Handschriften sich auf Nikolaus, Michael und Veit verteilen,
die in Ornamentik wie Figurenstil leicht auseinanderzuhalten
sind, erfährt bei näherer Untersuchung des Buchschmucks
* * *
Im folgenden sollen die Beziehungen, die die Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts in ihrem Deckfarbenschmuck untereinander und zum Antiphonar CCl 65-68 zeigen, untersucht werden.
Enge Übereinstimmungen in der Ornamentik zeigen die Handschriften CCl 722 B, CCl 128 und CCl 129. Letztgenannter Codex weist im Vergleich zu CCl 128 ein verändertes Kolorit auf (gegenüber den in CCl 128 vorherrschenden Farben Grün, Blau, Graublau und Ocker nur Grün, Blau, Rosa – nur auf 1r ein helles, ansonsten ein kräftiges Rosa – und ein stark aufgehelltes Violett; Ocker wird nicht verwendet); die Blattornamentik der Rankenausläufer ist in CCl 129 kleinteiliger und formenreicher (die in CCl 128 fast ausschließlich verwendete langgezogene Blattform, wie sie in ähnlicher Form etwa auch CCl 722 B, 2v zeigt, kommt in CCl 129 auch, jedoch in kleinerem Maßstab vor). Grundsätzlich dieselben Unterschiede in Kolorit und Blattornamentik bestehen auch zwischen CCl 128 und CCl 722 B.
An gemeinsamen Charakteristika der Handschriften dieser
Gruppe seien erwähnt: Der Buchstabenkörper wird nur
teilweise von einem
Von zweifellos derselben Hand wie CCl 129 stammt die sechszeilige Initiale Q zu Beginn der anläßlich der Visitation von 1419 eingeführten Klosterneuburger Statuten (Parallelüberlieferung in CCl 58 – ⇒Kat.-Nr.42) auf Bl. 55v in CCl 79. Mit CCl 129 stimmt sie nicht nur in der Ornamentik sondern auch im Kolorit (kräftiges Rosa und Grün für Buchstabenkörper und Blattausläufer, blaugrauer Binnengrund mit Federranke in Gold – dieselbe Farbzusammenstellung etwa in CCl 129, 109v) völlig überein.
Die Handschriften CCl 58
(⇒Kat.-Nr.42),
CCl 273
(⇒Kat.-Nr.45)
und CCl 290
(⇒Kat.-Nr.46)
schließen sich auf Grund ihrer
übereinstimmenden Ornamentik zu einer weiteren Gruppe
zusammen. Die Buchstabenkörperfüllung der Initialen CCl 58,
26r, CCl 273, 2r, CCl 290, 2r zeigt ein auf ähnliche Weise
wie in CCl 722 B und CCl 128-129 bewegtes Blatt, jedoch ist
die Kugel in halber Schafthöhe hier zu einem kleinen Kreis
reduziert worden, und die diesen Kreis flankierenden
Blattlappen sind anders geschnitten. Der den
Buchstabenkörper konturierende Wulst der Initialen CCl 273,
2r, CCl 290, 2r, 6r stimmt mit der von CCl 722 B bekannten
Form überein.
Die Blattranken in CCl 58 und CCl 273 wirken im Vergleich mit jenen von CCl 722 B und vor allem jenen von CCl 128 und 129 dürftiger; die Blattformen sind kleiner geworden, neben den vom Antiphonar her bekannten sechsteiligen (z.B. CCl 722 B, 1r) werden in zunehmenden Maße vierteilige verwendet, der Rankenstengel ist spärlicher besetzt. Hingegen entspricht die Blattranke von CCl 290, 2r in ihrer Dichte noch etwa denen von CCl 722 B (⇒Anm. 72-1). Die Rankenblattformen in CCl 58, CCl 273 und auf 2r von CCl 290 sind in der Nähe des Initialkörpers am größten und nehmen gegen Ende der Rankenausläufer kontinuierlich ab (diese Erscheinung ist auch im Antiphonar – etwa bei den Rankenausläufern am oberen Rand von 1r in CCl 65 – festzustellen), um schließlich mit einem Blatt in Fischgrätenform zu enden.
Von Oettinger (⇒Anm. 72-2) wurde diese fischgrätenartige Blattform als charakteristisch für den Rankenstil des Veit angesehen, doch sind solche Blattformen in der Mehrzahl der Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts nachweisbar (z.B. CCl 66, 327v, CCl 129, 49r, CCl 722 B, 2v).
Von der erstgenannten Gruppe läßt sich diese zweite
Handschriftengruppe nicht deutlich absetzen, da ein und
dasselbe Formenrepertoire nur geringfügig variiert zur
Anwendung kommt. Die sich nur in Nuancen unterscheidende
Buchstabenkörperfüllung sowie die völlig identische Form der
Federranke der Initialen CCl 273, 2r und 722 B, 1r
kennzeichnen beispielsweise diesen engen Konnex
(⇒Anm. 72-3).
Mit den bisher aufgezählten Handschriften eng verwandt sind die drei Deckfarbeninitialen von CCl 44-46 (datiert 1424). Die Rankenblattformen in CCl 45 sind wegen des breiteren linken Seitenrandes am größten; in den Formen (dieselben in etwas kleinerem Maßstab in CCl 46) und im Kolorit stimmen sie eng mit CCl 38 überein. Die Rankenblätter von CCl 44 finden hingegen auch im Kolorit ihre Entsprechgung in CCl 129 (man vergleiche etwa den oberen Teil der Rankenausläufer der Initiale auf 49r in CCl 129).
Die von Oettinger dem Illuminator Veit zugeschriebenen Handschriften CCl 47 (1426), CCl 34 (1427) und CCl 139 (1428) (⇒Anm. 73-1) sind zweifelsohne von ein und derselben Hand mit Deckfarbenschmuck versehen worden. Kennzeichnend für die Gruppe ist eine spezifische Blattform: ein keulenförmiges, mit einem kleinen Zipfel besetztes Blatt (CCl 47, 1r; CCl 34, 1r, unterer Rankenast, CCl 139, 1r), dessen Höhung schematisch durch einen dicken Strich (in Gelb über Grün, in Weiß über Rosa und Blau) erfolgt. Die Farbpalette ist beschränkt, es werden meist ein kräftiges Grün, ein dunkles Blau, ein stark mit Deckweiß versetztes Rosa und selten Ocker verwendet. Der Rankenstengel weist – häufiger als bei den bisher besprochenen Handschriften üblich – blattlose Verästelungen auf (z.B. CCl 47, 1r), sein dünnes, Schlingen ausbildendes Ende ist meist lang ausgezogen.
An die Handschriften dieser Gruppe verbindenden Merkmalen
seien noch erwähnt: In CCl 139 wird links unten jenes
Blattmotiv zitiert, das am unteren Ende des links des
Schriftspiegels entlanggeführten Stabes auf 1r in CCl 34
ansetzt. Als Buchstabenkörperfüllung werden in CCl 47
dreilappige Blätter mit tropfenförmiger Mittelrippe
verwendet, die sich in vergleichbarer Form auf 1r in CCl 34
finden, in weitgehend identischer Form jedoch auch auf 1r
von CCl 129 vorkommen.
Im Gegensatz zu CCl 139 und CCl 47, die mit jeweils nur einer einzigen Initiale zum Buchbeginn ausgestattet sind, enthält CCl 34 insgesamt sieben Deckfarbeninitialen zu den einzelnen Büchern des Textes. Die Blattornamentik dieser Initialen nimmt in vergröberter und etwas variierter Form teils die des unteren Seitenrandes von 1r auf (z.B. 14r), teils die der Blattausläufer der Initiale zum Buchbeginn (z.B. 69r, 172r; zu letztgenanntem Beispiel vergleichbar CCl 67, 28v).
Derselben Gruppe ist mit Sicherheit die Mehrzahl der Initialen in CCl 35 (⇒Kat.-Nr.38) ab Bl. 315 zuzurechnen. Gegenüber den kleinen Deckfarbeninitialen der ersten Hälfte dieses Bandes, die wegen ihrer Schlichtheit mit dem Deckfarbenschmuck keiner anderen Klosterneuburger Handschrift überzeugend in Verbindung zu bringen sind, werden nun die Rankenausläufer länger und die Blattformen größer. Die Farbpalette ist die der oben genannten Gruppe; Grau wird weit weniger als im ersten Teil der Handschrift verwendet (dort des öfteren auch Zinnober, z.B. 121v, 159v), das Rosa ist verglichen mit dem auf 108v und 250v deutlich kräftiger und nuancierter. Die Ranken der historisierten Initiale auf 1r entsprechen in ihrem blaßen Rosa zwar den Initialen des ersten Teiles der Handschrift, in ihren Blattformen stehen sie jedoch denen der genannten Handschriftengruppe nahe (vergleiche CCl 34, 342v). Mit seinen schlichten Rankenblattformen ist auch CCl 268 (⇒Anm. 74-1) am ehesten mit dieser Gruppe zu vergleichen.
Von den Handschriften der letztgenannten Gruppe zeigt CCl 47
die stärksten Beziehungen zur Ornamentik des Antiphonars CCl
65-68. Die Art der Buchstabenkörperfüllung findet sich in
etwas komplizierterer Form in der Ostermorgen-Initiale (CCl
66, 132r), die verwendeten Blütenmotive sind in den
Rankenausläufern
Kaum Anhaltspunkte für eine nähere Datierung und Einordnung liefert die mit kurzen Blattausläufern versehene Initiale zum Beginn von CCl 321 (⇒Kat.-Nr.47). In ihrer kugeligen Buchstabenkörperfüllung ist sie entfernt verwandt CCl 65, 36v. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß das Fleuronnée dieser Handschrift in CCl 65-68 nachweisbar ist (⇒Anm. 75-1), erscheint jedoch eine Datierung in das dritte Jahrzehnt gerechtfertigt.
Auf Grund eines genauen Vergleichs der Ornamentik der
besprochenen Handschriften untereinander gelangt man somit
zu drei Handschriftengruppen. Da jedoch die diese Gruppen
verbindenden Merkmale – vor allem jene zwischen erster und
zweiter Gruppe – nicht weniger deutlich ausgeprägt sind als
die sie unterscheidenden, wird man die Ausführung des
Deckfarbenschmucks dieser Handschriften durch verschiedene
Hände nur als möglich ansehen dürfen. Am wahrscheinlichsten
ist dies bei den Handschriften der dritten Gruppe (CCl 47,
34, 139, 35), zu denen allerdings die von Oettinger
(⇒Anm. 75-2)
gleich diesen dem Veit zugeschriebenen CCl 44-46, 273 und
290 weder im Figurenstil noch in der Ornamentik derart
ausgeprägte Beziehungen zeigen, daß die Annahme desselben
Illuminators gerechtfertigt wäre. (Daß die mit figürlichen
Initialen ausgestatteten letztgenannten beiden
Der dürftige Rankenschmuck des von Oettinger (⇒Anm. 77-1) dem Veit zugeschriebenen Cvp 496 (1441 in Mariazell geschrieben) (⇒Anm. 77-2) ist zu wenig charakteristisch, um Parallelen zu irgendeiner der Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts herstellen zu können. Auch das Motiv der in eine Blattmaske auslaufenden Ranke ist in der niederösterreichischen Buchmalerei der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts unbekannt. Es verbleiben somit als für Veit in Anspruch zu nehmende Codices lediglich die der dritten Gruppe, und dies nur unter der Voraussetzung, daß die Zeugen seiner Tätigkeit überhaupt noch erhalten sind.
* * *
Im folgenden soll die Ornamentik jenes Teils des
Deckfarbenschmucks des Antiphonars CCl 65-68 besprochen
werden, der die stärksten Beziehungen zu den oben genannten
Handschriften des dritten Jahrzehnts aufweist
(⇒Anm. 77-3).
Es ist dies die gegenüber den "Michael"-Initialen
(⇒Anm. 77-4)
des
Antiphonars weit kleinere Gruppe der "Nikolaus"-Initialen,
das heißt jener figürlichen Initialen, die in der Literatur
bislang ausschließlich dem Illuminator Nikolaus
zugeschrieben wurden und die in ihrer Ornamentik diesen
verwandten unfigürlichen Antiphonar-Initialen. Zunächst soll
die Ornamentik der figürlichen, dann die der unfigürlichen
erörtert werden.
Der Buchstabenkörper der figürlichen Initialen ist stets von einem Wulst oder einer Leiste konturiert. Seine Blattfüllung ist durchwegs dreidimensional konzipiert. Eine vergleichbare Buchstabenkörperfüllung zeigen CCl 65, 2v, CCl 67, 43v, CCl 68, 44r (kugelig eingerollte dreilappige Blätter), CCl 67, 16v und 196r (scharf gezahnte kugelige Blätter); CCl 65, 1r, CCl 67, 28v (kleinteilige Blattranke im Initialbalken); CCl 66, 132r und 221r (wellenförmig verlaufende, dreiteilige Blattformen mit tropfenförmig verdickten Blattrippen). Demgegenüber sind die Buchstabenkörperfüllungen der Initialen des ersten Jahrzehnts – etwa der des RD oder des größenmäßig besser vergleichbaren Cvp 2783 – weit einfacher und weniger räumlich konzipiert. Hingegen sind die meisten der hier vertretenen Formen in den oben genannten Klosterneuburger Handschriften zu finden: zu den ersten beiden genannten Arten der Buchstabenkörperfüllung vergleiche CCl 722 B, 1r, 2v, zur letztgenannten CCl 47, 1r, CCl 129, 1r).
Der Außengrund der Initiale ist stets in poliertem Gold
gehalten und von einer schwarzen Linie oder einem Rahmen
eingegrenzt. Letzterer ist nur auf CCl 65, 1r mit einem
plastischen Muster (Rauten und Kreise) belegt und auf CCl
67, 43v mit einem dem punzierten Binnenrahmen auf CCl 68,
44r ähnlichen Punkt-Ornament versehen. Meist wird die
Innenseite des unteren Rahmenteils in Suggerierung einer
Beleuchtungssituation deutlich aufgehellt (z.B. CCl 65, 1r,
CCl 66, 327v, CCl 67, 43v, 196r); bei den "Michael"-Initialen
des Antiphonars werden hingegen ausnahmslos die
Innenseiten des unteren und rechten Rahmenteils gehöht (z.B.
CCl 65, 157v, CCl 66, 143r, CCl 67, 76v). Einen punzierten
Binnenrahmen zeigen nur drei Initialen: CCl 65, 2v in Form
einer Punktreihe, CCl 66, 221r als von je einer Doppellinie
eingegrenzte Abfolge von Vierblatt-Punzen (Durchmesser ca. 3
mm) und Doppelpunkten, CCl 68, 44r – ebenso wie die
historisierte Initiale CCl 37, 1r – in Form des
Binnenrahmens der Initiale CCl 66, 221r, jedoch mit einer
einfachen Kreispunze (Durchmesser ca. 2mm) anstelle der
Vierblatt-Punze.
Der Binnengrund der Initialen CCl 66, 221r ist in Braun, der Initialen CCl 65, 2v und CCl 68, 44r in Schwarz, der übrigen in zwischen Rosa und Purpur schwankenden Farbtönen gegeben. Als stets in Gold gehaltene Binnengrund-Ornamentik findet sich eine in Dreiblättchen endende Spiralranke bei den Initialen CCl 65, 1r, CCl 66, 221r, CCl 68, 13r (hier flüchtiger), ein Rautenmuster bei CCl 65, 2v und CCl 67, 43v, eine in stilisierte Blüten auslaufende Spiralranke auf CCl 66, 132r und CCl 68, 44r.
Die Rankenausläufer, die sich aus dem den Initialkörper
konturierenden Wulst entwickeln oder – bei CCl 65, 1r, Ccl
67, 16v, 196r – am Rahmen ansetzen, erstrecken sich in der
Regel über drei Seitenränder.
Die Form des Rankenverlaufs, wie sie die erste Initiale (CCl
65, 1r) zeigt, wird wiederholt von den dem Hauptmeister
zuzuschreibenden Initialen CCl 67, 16v (Gnadenstuhl) und CCl
67, 28v (Melchisedek), von den Ranken der
herausgeschnittenen Initiale CCl 65, 32v und denen der
stilistisch nicht eindeutig zuordbaren Strahlenkranzmadonna
CCl 67, 196r. Dabei bildet die Ranke in Höhe der Initiale
zwei mit je einem großen Blatt- oder Blütenmotiv besetzte
Schlingen aus, verläuft dann geradlinig entlang des
Schriftspiegels (unterbrochen von Goldpunkten oder – auf CCl
67, 196r und CCl 68, 85v – einer Blattmaske) und zeigt ein
weiteres Rankenmedaillon dort, wo der vertikal verlaufende
Rankenstengel in den wellenförmig verlaufenden Rankenast am
unteren Seitenrand übergeht.
Um einen Stab sich windende Initialausläufer finden sich bei
der Initiale CCl 66, 132r (Ostermorgen), CCl 67, 61v
(Petrus) und bei der herausgeschnittenen Initiale CCl 68,
85v, wellenförmig bewegte, die Seitenränder in
gleichmäßiger Dichte füllende Ausläufer bei den Initialen
CCl 66, 327r (Verkündigung), CCl 66, 221r (Himmelfahrt) und
– in ähnlicher Form – CCl 68, 44r (Christus und Zachäus).
Die Rankenausläufer der Initiale CCl 65, 2v (David) und die der folgenden unfigürlichen Initialen (siehe unten) weichen demgegenüber stark ab. Sie verlaufen – im wesentlichen nur an der linken Schriftspiegelseite – in einer leichten Wellenbewegung und sind vor allem mit großen sechsteiligen Blättern besetzt, die sich durch ihre schematische Form und in den kräftigen Farben von den Rankenausläufern der übrigen "Nikolaus"-Initialen deutlich absetzen.
Diese sechsteilige Blattform (⇒Anm. 80-1) ist in allen Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts vorherrschend (im Antiphonar z.B. CCl 65, 2v, CCl 66, 132r, CCl 67, 16v, 61v). In ein und derselben Ranke wird sie häufig so variiert, daß die beiden mittleren der sechs Blattlappen einmal einen runden, einmal einen geraden Abschluß erhalten (siehe z.B. CCl 65, 2r oder – als Beispiel für eine "Michael"-Initiale des Antiphonars – CCl 67, 76v). Eine andere, bei den "Michael"-Initialen nicht nachweisbare Blattform mit lang ausgezogenem, geschwungenem mittleren Lappen (z.B. CCl 67, 28v) ist in identischer Form in Klosterneuburg nur in Handschriften der frühen zwanziger Jahre nachweisbar (z.B. CCl 44, 1r, CCl 45, 1r, CCl 38, 1r). Hingegen ist die Rankenblattform der Initialen CCl 68, 13r und 44r, die im Antiphonar ansonsten nicht zu finden ist, nicht nur in Handschriften des dritten Jahrzehnts (z.B. CCl 129, 149v, CCl 290, 35v) vertreten, sondern bereits im RD (z.B. 179r) nachweisbar.
Fast alle Blattranken sind von "Vier-Beeren"-Motiven
begleitet: Gruppen von je vier in Gold, Rosa, Blau und Grün
gehaltenen Punkten, die durch rosa oder violettes Fleuronnée
An Farben wird die übliche Palette verwendet: Blau, Grün, Rosa, Grau, Ocker, zur Petrus-Initiale (CCl 67, 61v) Karmin. Rosa findet sich in verschiedenen Nuancen: so auf CCl 67, 1r in einem kräftigen Ton, auf CCl 67, 16v, 28v, 43v als sehr blasses Rosa – dieser Umstand könnte vielleicht als Hinweis auf eine gleichzeitige Ausführung dieser drei Initialen interpretiert werden –, auf CCl 66, 132r stark mit Deckweiß versetzt.
Den figürlichen "Nikolaus"-Initialen des Antiphonars sind
außerdem acht einzeilige, unfigürliche Deckfarbeninitialen
anzuschließen, die jeweils zu der ihnen nächststehenden
historisierten Nikolaus-Initiale in Ornamentik und/oder
Farbwahl Beziehungen zeigen.
So sind der Hand, die den Buchstabenkörper und die
Rankenausläufer der Initiale CCl 65, 2v (David) geschaffen
hat, sicher auch die in Ornamentik und Farbtönen vollkommen
übereinstimmenden CCl 65, 13r, 21v, 22v und 36v
zuzuschreiben; das sind alle unfigürlichen Initialen jener
ersten vier Lagen von CCl 65, die sich auch durch ein
einheitliches Lombarden-Fleuronnée
(⇒Anm. 81-2)
zusammenschließen.
Neben den gleichartigen Rankenausläufern findet sich auch
dieselbe Art der Buchstabenkörperfüllung durch kugelige
Blattformen, die gegenüber den mit verwandten
Buchstabenkörperfüllungen versehenen historisierten
"Nikolaus"-Initialen allerdings schematischer wiedergegeben
sind. Die qualitätvoller ausgeführten Blattranken der
ausgeschnittenen Initiale CCl 65, 32v wiederholen hingegen
in ihrem Verlauf das durch die Initiale CCl 65, 1r
vorgegebene Schema.
Von der Hand der Initiale CCl 67, 16v (Gnadenstuhl) stammen die drei unfigürlichen Initialen dieses Bifoliums auf 15r, 15v, 16r, wie die mit CCl 67, 16v übereinstimmenden Farben und Formen der Rankenblätter der Initiale auf 16r belegen. Gegenüber der Initialgruppe um CCl 65, 2v unterscheiden sich die hier genannten durch ein weit helleres Kolorit (anstelle des kräftigen Rosa ist hier eine sehr blasse Farbe getreten, die die Vorzeichnung deutlich erkennen läßt); die unfigürlichen Initialen setzen sich zudem durch die flächige Buchstabenkörperfüllung und die kurzen Blattausläufer von der Initialgruppe um CCl 65, 2v deutlich ab.
Die unfigürliche Initiale CCl 66, 327r stimmt zwar mit der auf der Versoseite dieses Blattes befindlichen Verkündigungsinitiale lediglich im verwendeten Ockerton überein; ihre kugelige Buchstabenkörperfüllung schließt an die der Initialen der ersten vier Lagen in CCl 65 an. Die Rankenblattformen (vergleichbar die der Johannes Baptista-Initiale CCl 67, 43v) sind identisch mit jenen an den Ecken des Turs Missale-Kanonbildes angesetzten.
* * *
Stilistische Unterschiede der figürlichen Darstellungen der
"Nikolaus"-Initialen lassen – unter der Voraussetzung, daß
figürliche Darstellung und Ornament einer Initiale von
derselben Hand stammen – auch Unterschiede in der Ornamentik
der betreffenden Initialen erwarten. Obwohl solche
Unterschiede (im Rankenverlauf, in Einzelmotiven und im
Kolorit) zweifellos vorhanden sind – und zwar in einer
Breite, die der Annahme einer einzigen ausführenden Hand
entgegensteht –, so erlauben diese doch weder eine
Bestätigung der an Hand von Unterschieden der figürlichen
Darstellungen getroffenen Scheidung der Initialen in zwei
Gruppen, noch gestatten sie bezüglich des Verhältnisses zur
Ornamentik der übrigen Handschriften des dritten Jahrzehnts
eine weitergehende Aussage als die, daß diese und die
"Nikolaus"-Initialen dasselbe Ornamentvokabular
verwenden
(⇒Anm. 82-1).
Daß Initialen mit verschiedenen Händen zugeschriebenen Darstellungen sich durch die Ornamentik wieder zusammenschließen, könnte durch das schichtenweise Zusammenarbeiten mehrerer Kräfte erklärt werden. Wahrscheinlich ist es so gewesen, daß dann, wenn eine Anzahl von Lagen fertiggeschrieben und zur Ausschmückung weitergegeben worden war, mehrere historisierte Initialen gleichzeitig ausgeführt wurden, wobei die Arbeit an ihnen fallweise aufgeteilt wurde. So stammt der Deckfarbenschmuck der ersten vier Lagen von CCl 65 – für deren gleichzeitige Ausschmückung auch das einheitliche Lombarden-Fleuronnée spricht – zweifellos von zwei verschiedenen Händen. Der Haupthand ist dabei die erste Initiale (CCl 65, 1r) zur Gänze, das Initialbild von CCl 65, 2v (David) und – nach der Form der Rankenausläufer der herausgeschnittenen Initiale zu schließen – CCl 65, 32v zuzuweisen, einer Hilfshand hingegen die Ornamentik von CCl 65, 2v und alle übrigen unfigürlichen Initialen der ersten vier Lagen. Bei den aufeinanderfolgenden Initialen Schutzmantelmadonna (CCl 68, 13r) und Christus und Zachäus (CCl 68, 44r) wäre hingegen eine Zusammenarbeit so denkbar, daß die relativ altertümlichen, schon im RD nachweisbaren Rankenblattformen und die zu Bl. 163r des RD Beziehungen aufweisende Szene des Christus und Zachäus von einer Hand stammen, während sich die Ausführung der Madonna mit den Schutzbefohlenen (unter ihnen der Auftraggeber der Handschrift!) der Hauptmeister vorbehalten hat.
* * *
Gegenüber der Ornamentik der besprochenen Handschriften des
ersten Jahrzehnts ist die der genannten Codices des dritten
Jahrzehnts bedeutend weiterentwickelt. Mit Ausnahme der
Rankenblattformen der Initialen CCl 68, 13r und 44r sind
alle anderen Blattformen, die Art der
Buchstabenkörperfüllung sowie die Formen des Rankenverlaufs
im ersten Jahrzehnt noch nicht nachweisbar.
Auf die Herkunft dieses neuen, am besten in den figürlichen
"Nikolaus"-Initialen faßbaren Ornamentik aus der
Martyrologium-Werkstatt
Mit dem Sedlecer Antiphonar stimmt CCl 65-68 auch im
Ausstattungssystem (Cadellen, Lombarden mit Fleuronnée,
Deckfarbeninitialen) überein. Achtzeilige Groß-Antiphonarien
mit ähnlichem Ausstattungssystem sind in Böhmen schon aus
der Mitte des 14. Jahrhunderts überliefert; so das um
1360/61 entstandene Wischehrader Antiphonar in Vorau (Cod.
259)
(⇒Anm. 85-3).
Bei diesen Handschriften durchkreuzen sich
allerdings die verdoppelten Schäfte der einzelnen Formeln
vorangestellten Satzmajuskeln in der Regel nicht, so daß
diese Initialen noch nicht wie im Sedlecer und
Klosterneuburger Antiphonar als Cadellen anzusprechen sind
(⇒Anm. 85-4).
In Österreich wird dieses für Chorbücher im
Großfolioformat entwickelte Ausstattungssystem
offensichtlich erstmalig durch CCl 65-68 vertreten
(⇒Anm. 85-5).
* * *
An der Ausschmückung der Lombarden und Cadellen des 1420/24 entstandenen Grundstocks des Antiphonars waren rund ein halbes Dutzend Kräfte – mit allerdings sehr unterschiedlichem Anteil – beschäftigt (⇒Anm. 86-1).
Drei von ihnen (Hand A, C, H) sind in Klosterneuburger Handschriften mit Deckfarbenschmuck nachweisbar, eine vierte (Hand G), die im Antiphonar lediglich das Cadellen-Fleuronnée von CCl 65, 3r-9v ausgeführt hat, ist in den nur mit Lombarden und Fleuronnéeinitialen ausgestatteten CCl 667 (datiert 1421) und CCl 376 (datiert 1420) zu finden (⇒Anm. 86-2). Hand H, in CCl 65 für das Cadellen-Fleuronnée auf 10r-19r verantwortlich, hat die mit der Sigle C bezeichneten Lombarden des 1421 datierten CCl 129 mit Fleuronnée versehen und die Fleuronnéeinitiale zum Beginn von CCl 380 (datiert 1422, ohne Deckfarbenschmuck) eingesetzt; von Hand C des Antiphonars, die dort Lombarden von insgesamt 44 Lagen mit Fleuronnée geschmückt hat, stammt das Fleuronnée in CCl 321 und auf 3r in CCl 35. Das Fleuronnée der Hand A findet sich im Antiphonar in den ersten vier Lagen des CCl 65, auf all jenen Doppelblättern in CCl 65-68, die mit einer figürlichen "Nikolaus"-Initiale versehen sind und zu einigen wenigen versprengten Lombarden.
Alle weiteren Handschriften, in denen der Antiphonar-Florator
A nachweisbar ist, sind ebenfalls mit
Deckfarbeninitialen ausgestattet. Daß dieser auch
Deckfarbeninitialen ausgeführt hat, zeigt schon die
Fleuronnéeinitiale CCl 34, 342v
(⇒Anm. 86-3);
sie stimmt in den verwendeten Farben mit der auf demselben Blatt befindlichen
Deckfarbeninitiale völlig überein (das Rosa des
Buchstabenkörpers begegnet in einigen Rankenblättern
Anerkennt man, daß die Deckfarbeninitialen CCl 34, 342v und
CCl 290, 15r von Hand A aus CCl 65-68 ausgeführt worden
sind, so ist dies auch für die Händescheidung im
Deckfarbenschmuck der Klosterneuburger Handschriften des
dritten Jahrzehnts von Bedeutung. Zum einen folgt daraus,
daß man dieser Hand A auch die übrigen im Deckfarbenschmuck
mit CCl 34 übereinstimmenden Handschriften der dritten
Gruppe (CCl 47, CCl 139 und den größten Teil von CCl 35)
(⇒Anm. 88-1)
zuschreiben muß, zum anderen, daß – in Hinblick darauf, daß
die Deckfarbeninitiale CCl 290, 15r ebenfalls von Hand A
stammt – die Unterschiede zwischen Deckfarbenschmuck der
Handschriften der dritten Gruppe und denen der frühen
zwanziger Jahre offenbar nicht nur durch die Annahme
verschiedener Illuminatoren sondern auch durch die
Weiterentwicklung desselben Illuminators erklärt werden
können.
Das Auftreten von Hand A in Handschriften, die in ihren
figürlichen Darstellungen und/oder in ihrer Ornamentik
Beziehungen zu den "Nikolaus"-Initialen des Antiphonars
zeigen, läßt eine Identifizierung dieses Florators mit
Nikolaus oder einem engen Mitarbeiter desselben für möglich
erscheinen, wobei die zweite Möglichkeit – berücksichtigt
man die schwächere Qualität des Deckfarbenschmucks der
dritten Handschriftengruppe gegenüber den für Nikolaus in
Anspruch genommenen Antiphonar-Initialen und das Auftreten
dieses Fleuronnées in dem mit Deckfarbenschmuck der Hand der
Ostermorgen-Initiale des Antiphonars ausgestatteten CCl 37 –
meiner Meinung nach die wahrscheinlichere ist.
Das würde bedeuten, daß der Großteil des Deckfarbenschmucks
der Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts
und das Antiphonar-Fleuronnée der Hand A einer Kraft
zuzuschreiben wäre, die eventuell mit dem in den
Rechnungsbüchern genannten Illuminator Veit identisch ist.
Die Tatsache, daß letzterer erst ab 1424 in den Rechnungsbüchern aufscheint, könnte so interpretiert werden, daß er vor 1424 als untergeordneter Werkstattgenosse des Nikolaus von diesem seinen Lohn empfangen hat (⇒Anm. 89-1) und erst nach Ablauf der Zusammenarbeit am Antiphonar als selbständiger Illuminator in Klosterneuburg tätig war (⇒Anm. 89-1).
* * *
Die Lombarden des Antiphonars zeigen einen einheitlichen Formenkanon, geringfügige Varianten im Duktus lassen es möglich erscheinen, daß sie eventuell von mehreren Händen nach einer für alle verpflichtenden Vorlage oder Werkstatt-Tradition eingesetzt wurden (⇒Anm. 89-2). Sie sind mit den Lombarden der Klosterneuburger Handschriften um 1400 eng verwandt; deutlich und stets auf dieselbe Weise verschieden sind jedoch die Buchstabenkörperformen für F und R.
Dieselben Formen wie im Antiphonar zeigen alle Lombarden in CCl 273 und jene des ersten Doppelblattes (Bl.1, 12) in CCl 46. Der Umstand, daß auch alle Lombarden der ersten zwölf Lagen in CCl 37 – inklusive der mit Fleuronnée der Hand A ausgestatteten Kapitelinitialen, – die vom Antiphonar her bekannten Formen zeigen, legt nahe, daß sich der Antiphonar-Florator A dieses spezifischen Lombardenalphabetes bedient hat.
Der Großteil der Lombarden der bislang besprochenen
Handschriften des dritten Jahrzehnts ist von Kräften, die in
Klosterneuburg nur in diesem Jahrzehnt nachweisbar sind,
eingesetzt worden. Die folgende Übersicht beschränkt sich im
wesentlichen auf die mit den "Nikolaus"-Initialen des
Antiphonars nahestehendem Deckfarbenschmuck ausgestatteten
Daß die hier in Rede stehenden Lombarden von den Schreibern
der Handschriften eingesetzt worden sind, ist in der
Mehrzahl der Fälle auszuschließen, da Lombarden derselben
Hand sich in von verschiedenen Händen geschriebenen Codices
finden oder ein Handwechsel in der Schrift nicht mit einem
solchen bei den Lombarden (oder umgekehrt) konform geht. Da
zudem von den in illuminiertenbwse Handschriften des dritten
Jahrzehnts mit der Einsetzung von Lombarden beschäftigten
Händen – wie gesagt – in Klosterneuburg keine vor 1420
nachweisbar ist, werden zumindestens einige von ihnen der
Werkstatt angehört haben, die in Klosterneuburg in den
frühen zwanziger Jahren tätig war. Als sicher kann dies auch
bei der mit der Sigle A bezeichneten Kraft aus CCl 36-38
betrachtet werden, da diese nicht nur auch in CCl 128-129
und im nur mit Fleuronnéeinitialen ausgestatteten CCl 116
(datiert 1422) tätig war, sondern auch alle Lombardinitialen
des Turs-Missales ausgeführt hat.
Selbstverständlich wird man die Zahl der im genannten Zeitraum in Klosterneuburg nachweislich mit dem Ausschmücken von Büchern im Rahmen einer Buchmaler-Werkstätte beschäftigten Kräfte nicht einfach durch Addition der Anzahl der Illuminatoren, Floratoren und mit dem Einsetzen von Lombarden beschäftigten Kräften eruieren können (⇒Anm. 91-1), da – wie hier aufgezeigt werden sollte – einzelne Kräfte der Werkstatt in verschiedenen Medien des Buchschmucks tätig waren. Aus dieser Beobachtung ergibt sich auch eine Folgerung für die Forschungsmethodik: Man wird bei der Suche nach weiteren Zeugen der Tätigkeit einer Buchmaler-Werkstatt oder eines Illuminators nicht nur nach verwandten figürlichen Darstellungen und verwandter Deckfarbenornamentik Ausschau halten müssen, sondern in diese Suche auch Fleuronnée und Lombarden der bereits bekannten Handschriften der Werkstätte beziehungsweise des Illuminators einschließen.
* * *
Zweifellos ist die Mehrzahl aller Lombarden jener Handschriften, die ausschließlich mit diesem Initialtyp ausgeschmückt sind, nicht von Mitgliedern eines Buchmalerateliers ausgeführt worden, sondern sie wurden vom Schreiber der jeweiligen Handschrift (eventuell gleichzeitig mit allen übrigen in Rot auszuführenden Teilen - Überschriften, Auszeichnungsstriche der Satzmajuskeln etc.) eingetragen, oder von einer Kraft, die vorzugsweise mit dieser Aufgabe betreut war, eingesetzt.
Solche Kräfte – die vor allem daran erkannt werden, daß ihre
Lombarden in einer Reihe von Handschriften mit verschiedenen
Schreibern nachweisbar sind und daß sie verschiedentlich
jene Lombarden nachgetragen haben, die bei
So etwa in den zwanziger Jahren jene Kraft – in obiger Übersicht mit der Sigle C in CCl 36-38 belegt –, die in insgesamt fünf illuminierten Handschriften und in einigen nur mit Lombarden ausgestatteten Codices (z.B. CCl 115; CCl 42, zweite Lage) nachweisbar ist. Gegenüber den übrigen Lombarden der illuminierten Handschriften des dritten Jahrzehnts sind die Lombarden dieser Hand weit weniger einem Formenkanon unterworfen und weitaus flüchtiger.
Von den wichtigsten Illuminatoren, die in Klosterneuburger
Handschriften des zweiten Drittels des 15. Jahrhunderts
tätig waren, konnten – ausgenommen Meister Michael
(⇒Anm. 92-2)
–
keine Fleuronnéeinitialen nachgewiesen werden. Sie (der
Albrechtsminiator, der Missalienmeister und der
Lehrbüchermeister) dürften sich auf die Ausführung von
Deckfarbeninitialen und Miniaturen – zumindestens in den
heute noch erhaltenen Handschriften – beschränkt haben. In
den Klosterneuburger Handschriften dieses Zeitraums ist eine
Hand nachweisbar, die insgesamt tausende Lombarden
eingesetzt hat. Auch die Zuschreibung einer spezifischen
Form des Fleuronnées
Die lange Zeitspanne, über der der oben genannte
Klosterneuburger Florator nachweisbar ist, läßt vermuten,
daß es ein Stiftsmitglied war, das sich mit dem Ausschmücken
von Handschriften beschäftigt hat. In diesem Bereich des
Buchschmucks, wo – wie die Initialen der in Rede stehenden
Hand beweisen – ein durchaus passables Niveau erreicht
werden konnte, wird man bei Handschriften aus
Klosterbibliotheken am ehesten die Tätigkeit von
Klostermitgliedern erwarten dürfen.
Das Palocs-Brevier Salzburg, Studienbibl., Cod. M II 11 (⇒Kat.-Nr.49).
Der Deckfarbenschmuck dieses 1423/39 entstandenen Breviers der Graner Diözese weist insgesamt 16 historisierte, einer einzigen Hand zuzuweisende Initialen durchschnittlicher Qualität auf. Die Palette umfaßt neben Grün, Rosa und Blau auch Ocker und Dunkelrot. Die Gewänder zeigen meist eine "pontillistische" Maltechnik.
Tietze vermutet eine "österreichische, nach dem Kalendar vielleicht dem Kreis König Sigismunds entstammende Arbeit aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts." Hoffmann konnte durch Entzifferung der Eintragung auf dem VD-Spiegel der Handschrift und durch Identifizierung des auf 8r und 236v abgebildeten Wappens den Besteller des Codex, Georg von Palocs, Erzbischof von Gran 1423-1439, eruieren. Sie sieht in der Handschrift ein ungarisches Kunstwerk. Frisch meint "der Stil steht dem Flämischen näher und hat mit Prag nichts zu schaffen..."; im Ausstellungskatalog "Salzburgs alte Schatzkammer" wird das Brevier als "böhmisch, 1. Viertel 15. Jahrhundert" klassifiziert (⇒Anm. 94-1).
Die deutlichste Übereinstimmung zu diesem Codex zeigt ein
Fragment eines Melker Missales in New York
(⇒Anm. 94-2).
Die Maria der Initiale auf 8r dieses Fragments ist im Gesichtstypus
(betontes Kinn) der auf 110v oder 343r des Breviers engstens
verwandt. Der Jesusknabe der Brevier-Initiale auf 110v ist
mit einem durchscheinenden, am Saum mit einer Reihe weißer
Punkte besetzten Tuch bedeckt; ein Tuch derselben Art
umhüllt die Lenden Christi auf 11r des Melker Fragments.
Spiralförmig gewundene Blattranken als Buchstabenkörperfüllung finden sich auf 8r des Missales wie auf 110v des Breviers, mit Punkten oder Kreisen ornamentierte Buchstabenkörperteile wie auf 8r z.B. in den Brevier-Initialen auf 39v, 231r, 343r, die Form der linken Initialgrund-Kontur der Kolomann-Initiale auf 9r des Missales begegnet bei den KL-Initialen des Brevier-Kalendars. Die untere Hälfte des am linken Seitenrand auf 94r des Breviers entlanglaufenden Rankenastes ähnelt jenem zwischen den Kolumnen auf 9r des Missale-Fragments, und auch die einzelnen Blattformen des Missale-Fragments sind jenen des Breviers ähnlich: Man vergleiche die Blätter am jeweils oberen Seitenrand von 8r des Missales und 110v des Breviers und die des jeweils unteren Seitenrandes von 9r des Missales und 326r des Breviers. Die Blattformen des Breviers sind allerdings "jünger", das heißt, sie wirken weniger geschmeidig, ihre Formen sind verhärteter, ihre Konturen eckiger. Das "Vier-Beeren"-Motiv des Missales (8r, 9r) ist im Palocs-Brevier nicht vertreten. Eine Ausführung beider Handschriften durch dieselbe Hand darf auf Grund dieser Übereinstimmungen angenommen werden.
Der Faltenstil mancher Figuren des 1423/39 zu datierenden Breviers ist schon knittriger als der der Assistenzfiguren des Missale-Fragments, deren Faltenzüge etwa gegenüber dem Auferstandenen auf 208r des Breviers gerundeter erscheinen und deren Gewänder beim Aufstoßen am Boden weniger deutlich umknicken. Eine Datierung von "1430/35" für das Palocs-Brevier und von "um 1425" für das Missale- Fragment (⇒Anm. 95-1) erscheint – auch in Hinblick auf die nachstehenden Ausführungen – vertretbar.
Zweifellos von derselben Hand stammen einige unfigürliche
Initialen des 1426 datierten St. Lambrechter Missales Graz,
UB, Cod. 122
(⇒Anm. 95-2),
dessen figürliche Initialen dem Umkreis der
In der Ornamentik zeigt das Palocs-Brevier auch Verbindungen
zu Handschriften des Albrechtsminiators, vor allem zu im
Zeitraum 1425/35 entstandenen. Dort finden sich dieselben
flächigen Buchstabenkörperfüllungen in "Stiefeletten"-Form
und vergleichbare Blattranken. Die Buchstabenkörperfüllung
der Initialen auf 39v, 94r und 131v des Palocs-Breviers
findet sich etwa im um 1425 entstandenen Turs-Missale
(⇒Anm. 96-2)
auf den Seiten 108, 114 und 176, bei den beiden Initialen
auf 6r und 168r des gegen 1430 entstandenen Missales St.
Pölten, Cod. 51
(⇒Anm. 96-3)
und auf Bl. 6r von CCl 124. Die Ranken
des Palocs-Breviers bilden wie beim Albrechtsminiator große
Medaillonfelder mit vielteiligen Blättern oder stilisierten
Blüten im Zentrum aus – man vergleiche etwa die
Rankenausläufer des Turs-Missales auf den Seiten 100 und 120
mit denen von 326r des Breviers, die im Vergleich zum Turs-Missale
etwas spröder, unorganischer wirken, Bl. 94r des
Breviers mit Melk, Cod. 616, erstes Kanonblatt oder – für
die Blüten am unteren Seitenrand – Bl. 5v des um 1435 zu
datierenden Cvp 1187
(⇒Anm. 96-4).
Die im Palocs-Brevier vorherrschende Blattart – wie sie etwa am oberen Seitenrand von 110v des Breviers und in vergleichbarer Form schon in Klosterneuburger Handschriften der Jahre 1426/28 (z.B. CCl 139, 1r) vertreten ist (⇒Anm. 97-1) – findet sich in ähnlicher Form in Albrechtsminiator-Handschriften ab den frühen dreißiger Jahren: etwa auf 21v des 1432 datierten CCl 57 (mit dieser Blattranke auch Blattformen am unteren Seitenrand von 110v des Breviers vergleichbar), auf 6r des CCl 124 (⇒Anm. 97-2) und auf 1r der Handschrift Berlin, STB, Cod. germ. quart 490. (⇒Anm. 97-3)
Eine Verbindung Palocs-Brevier – Albrechtsminiator besteht
auch in Stil und Ikonographie. Wie bei diesem sind auch im
Brevier die Figuren stets in einer bildparallelen Ebene
angeordnet und meist streng frontal gesehen (siehe z.B. die
Initialbilder 208r und 231r des Breviers). Zum Formular der
Geburt Christi wird in den Albrechtsminiator-Handschriften –
wie im Palocs-Brevier auf 110v und im
Missale-Fragment auf 8r – die Anbetung des Kindes durch
Maria dargestellt (Turs-Missale, Seite 104, Cvp 1767, 10r).
Das nackte Jesuskind der genannten Initialen ist stets in
steifer Haltung, mit nur leicht angewinkelten Beinchen
gegeben. Die Maria der Initiale des Turs-Missales trägt wie
die Marien der erstgenannten beiden Initialen ein Haarband;
ihre große aufspringende Tütenfalte (in sehr ähnlicher Form
auch auf 69v von Cvp 2722) findet sich auch auf 326r und
231r im Palocs-Brevier. Die Ikonographie der
Pfingstdarstellung des Palocs-Breviers – Maria vor zwei
flankierenden
Vorbilder in der Art der Albrechtsminiator-Handschriften der frühen dreißiger Jahre müssen den aus Stift St. Dorothea stammenden (Besitzvermerke aus dem 15. Jahrhundert) und um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu datierenden Cvp 666-668 (⇒Anm. 98-3) und Cvp 905 (⇒Anm. 98-4) zugrunde gelegen sein; man vergleiche etwa die Rankenblattformen von Cvp 666, 2v mit jenen von CCl 57, 21v oder die Blattfüllung des Buchstabenkörpers von Cvp 666, 33r mit der von CCl 124, 6r.
Wohl derselben Hand wie das Missale-Fragment ist das Melker
Missale 239 (olim 987) zuzuweisen, das lediglich zwei
Deckfarbeninitialen einer Hand enthält: die Adventinitiale
Der Deckfarbenschmuck einer Reihe von um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstandener Melker Handschriften greift teils auf Vorbilder des Albrechtsminiators zurück (z.B. Cod. 616) (⇒Anm. 99-1), teils zeigt er Verbindungen zur Ornamentik des Palocs-Breviers und Missale-Fragments. So entspricht die Initiale I auf 127v des Cod. 105 (⇒Anm. 99-3) in ihrem Formenrepertoire völlig dem Albrechtsminiator (vgl. etwa Melk, Cod. 616, erstes Kanonblatt), während die Augustinusinitiale auf 1v derselben Handschrift in ihren Rankenblattformen an die des Palocs-Breviers (z.B. 110v) erinnert. Die Physiognomie des Augustinus erscheint vergleichbar der des knienden Bischofs auf 94r des Breviers.
Die Form der Schaftfüllung auf 9r des Missale-Fragments
begegnet in Melker Handschriften immer wieder: z.B. im
genannten Codex 105 auf 31r oder im 1455 datierten Codex 194
(olim 336)
(⇒Anm. 99-3)
auf 153v und ist in ähnlicher Form auch
Der Meister des Palocs-Breviers war somit um 1425 in Melk
tätig, wo er zwei Missalien (New York, Public Library, Ms.
16, Bl. 8-11 und Melk, Cod. 239) illuminierte; 1426 war er
an der Ausschmückung des St. Lambrechter Missales Graz, UB,
Cod. 122 beteiligt. Die fallweisen Übereinstimmungen
einzelner seiner Ornamentmotive mit solchen der Grillinger-Bibel
bedeuten wohl, daß der Meister des Palocs-Breviers
zeitweise mit Kräften aus der Werkstatt der Grillinger-Bibel
– wie etwa 1426 in St. Lambrecht – zusammengearbeitet hat.
Auf Grund des der Grillinger-Bibel verwandten Melker
Fleuronnées wäre auch eine direkte Beeinflussung der Melker
Buchmalerei durch Handschriften dieser Salzburger Werkstätte
denkbar. In den frühen dreißiger Jahren ist der in Rede
stehende Illuminator schließlich in Gran nachweisbar,
nachdem er knapp vorher das Formenrepertoire des
Albrechtsminiators kennengelernt hat.
Die Sternbilder des CCl 125 und Cvp 5415
Im folgenden soll versucht werden, das Verhältnis der hier erstmals in Zusammenhang gebrachten Federzeichnungen der genannten Handschriften näher zu bestimmen.
Cvp 5415, eine astronomische Sammelhandschrift, enthält in unkolorierter Federzeichnung zwei Sternkarten (168r, 170r), die zum Text "De compositione sphaerae solidae" (161r-191r) gehören, sowie Sternbild-Einzeldarstellungen, die an den entsprechenden Stellen eines Fixstern-Katalos (217r-251r) interpoliert sind. Die Handschrift ist vor allem ihrer beiden Sternkarten wegen wiederholt in der LIteratur genannt worden.
Saxl
(⇒Anm. 101-1)
datiert "vor 1464, da (auf) Bl. 217r eine
Eintragung eines Benutzers aus diesem Jahre". Die auf 33v in
dreipaßförmig zusammengestellten kleinen Kreisen enthaltenen
Wappen identifiziert er folgendermaßen: "Links unten der
österreichische Bindenschild, rechts unten das Wiener
Stadtwappen, oben wohl das Wappen einer Wiener Familie". Das
bekrönende Wappen – in Rot eine weiße Sturzkrücke – ist
allerdings das Wappen des Stiftes Klosterneuburg. Zum Stil
der Zeichnungen meint Saxl, daß die der Sternkarten und des
Sternkataloges "evident von derselben Hand" seien und daß
"die Zeichnungen des Codex nach oberitalienischer Vorlage
von einem süddeutschen Zeichner aufs treueste kopiert
wurden". Zinner wendet sich gegen die Meinung Saxls, daß die
Himmelskarten süddeutsche Kopien italienischer Vorlagen
seien und betont den süddeutschen Ursprung dieser bis um
1400 zurückverfolgbaren Karten. Ameisenowa übernimmt für die
Himmelskarten die Datierung und Lokalisierung Saxls. Fischer
datiert die Handschrift Mitte 15. Jahrhundert. Bei
Unterkircher wird der Codex nach Wien (mit Fragezeichen)
lokalisiert und 1435 (Datierung auf 191r) und 1444
(Datierung auf 159v) datiert. Im Katalog zur Kopernikus-Ausstellung
wird erstmals auf eine mögliche Herkunft
Da der Codex jedoch von einer einzigen Hand geschrieben und ebenfalls von nur einer Hand rubriziert und mit roten und blauen Lombarden ausgeschmückt worden ist, können nicht sowohl 1435 als auch 1444 "echte" Datierungen sein. Die Datierung 1444 auf 159v bezieht sich auf den Traktat des Albion auf 3r-120r und 150r-160r; zwischen den ersten drei Teilen und dem vierten Abschnitt genannter Abhandlung ist auf 133r-141r eine Arbeit des Johannes Schindel, anschließend (141r-145r) eine kurze, 1433 datierte Abhandlung eingeschoben. Die auf den Albion-Text folgenden beiden Traktate sind 1435 datiert. In der Handschrift finden sich somit folgende Datierungen: 145r – 1433, 159v – 1444, 191r – 1435, 210v – 1435. Unter der Voraussetrzung, daß der Schreiber aus Versehen 1444 anstelle von 1434 eingesetzt hat, könnte die Entstehung des Cvp 5415 im Zeitraum 1433/1435 angenommen werden.
Eine Unterstützung findet diese Hypothese dadurch, daß der
auf 110r und 124r 1434 datierte astronomische Cvp 5418 mit
Cvp 5415 in kodikologischen Merkmalen so eng übereinstimmt,
daß eine Entstehung beider Handschriften in unmittelbarer
zeitlicher Nähe angenommen werden muß.
(⇒Anm. 102-1)
Daß die Darstellungen des Sternkatalogs unmittelbar nach Niederschrift des Textes eingesetzt worden sind, beweisen die zu einzelnen Sternen hinzugesetzten Namen (z.B. 227r), die eindeutig von der Hand des Haupttext-Schreibers stammen.
CCl 125, eine aus verschiedenen Schriften kompilierte Naturenzyklopädie, die auf 7r-16r insgesamt 48, in die Kolumen interpolierte, mit Graubraun, Gelb-Braun, Blau und hellem Purpur kolorierte Federzeichnungen von Sternbildern enthält, ist auf anderem Papier und von anderer Hand als Cvp 5415 geschrieben worden. Die beiden Handschriften zeigen jedoch ein eng verwandtes, in Rot(!) eingetragenes Linienschema zur Rahmung des Schriftspiegels und der Zeichnungen und teilweise identische Lombarden. Die Lombarden der ersten sieben Lagen von CCl 125 stammen von jener Hand, die alle Lombarden in Cvp 5415 und 5418 sowie die von Bl. 224r-263v der 1434 und 1437 datierten, für Propst Georg Müstinger angefertigten Sammelhandschrift Cvp 5266 (⇒Anm. 103-1) ausgeführt hat – die Lombarden der restlichen Lagen von CCl 125 sind einem in Klosterneuburg etwa im Zeitraum 1430/60 tätigen Florator zuzuweisen. (⇒Anm. 103-2)
Zu einer Reihe von Sternbildern sind in beiden Codices kaum sichtbare, mit Stift eingetragene Symbole an den Seitenrand gesetzt, deren Bedeutung noch nicht völlig geklärt erscheint (⇒Anm. 103-3). Möglicherweise sind sie von einem Besitzer der beiden Handschriften später eingetragen worden.
Der enge ikonographische Zusammenhang zwischen den beiden
Handschriften macht es sehr wahrscheinlich, daß der Zeichner
von CCl 125 in all jenen Fällen, in denen es der Text
(⇒Anm. 103-4)
erlaubte, die Sternbilddarstellungen des zu diesem Zeitpunkt
wohl schon in der Bibliothek des Klosterneuburger Propstes
Stilistisch haben die Sternbilddarstellungen beider Handschriften nichts miteinander zu tun. Die kräftig kolorierten des CCl 125 stammen zweifellos von einer einzigen Hand, die in Cvp 5451 nicht nachweisbar ist. Es sind schlanke, kraushaarige Figürchen mit kantigen Gesichtern, eckigen Bewegungen und schematischer Binnenzeichnung (z.B. 9r, 10v). Anstelle der Schreitstellung der Figuren von Cvp 5415 ist eine Grätschsstellung (z.B. 10v) getreten. Die Finger der ausgestreckten Hände laufen häufig spitz zu (z.B. 10v, 11r).
Oettinger (⇒Anm. 105-1) hat die Zeichnungen des CCl 125 als Frühwerk des Meisters der Linzer Kreuzigung betrachtet; auf die Unhaltbarkeit dieser Zuschreibung hat bereits Schmidt (⇒Anm. 105-2) &ndash dessen Meinung ich mich anschließe – hingewiesen.
Eine Beurteilung des Drapierungsstils ist nur bei der Virgo
(8r), Cassiopeia (11r) und bei der die Milchstraße
haltenden weiblichen Figur
(⇒Anm. 105-3)
(14vb) möglich. Gegenüber
den entsprechenden Sternbildern in Cvp 5415 (Virgo 236r,
Cassiopeia 224v; das Sternbild der Milchstraße ist in Cvp
5415 nicht enthalten) ist der Drapierungsstil in CCl 125
insofern fortgeschrittener, als die Gewänder stoffreicher
geworden sind, sich mehr
Die Sternbilder des Cvp 5415 wurden mit Silberstift
skizziert und mit der Feder in brauner bis schwarzer Tinte
ausgezogen. Dabei wurden bisweilen Teile – wie das von der
Hüfte abhängende Schwert des Bootes auf 221r oder die
Terrainformeln neben der Andromeda auf 230v – in der
Vorzeichnung stehen belassen. Aber auch Teile der Kontur
(etwa auf 220 beim Rock oder auf 221r beim Ärmel der
erhobenen Hand) und vor allem der Binnenzeichnung des
Gesichtes (z.B. 240r) wurden des öfteren nicht mit Tinte
nachgezogen. Der dadurch entstehende skizzenhafte Eindruck
der Darstellungen war ursprünglich zweifellos stärker, denn
die Mehrzahl der in Silberstift belassenen Partien wurden
später in schwarzer Tinte nachgezogen – die Ergänzungen sind
jedoch nur mit Mühe und nicht immer zweifelsfrei zu
erkennen.
(⇒Anm. 106-2)
Daß die als Vorlage für CCl 125 dienenden Sternbilder des Cvp 5415 von weitaus höherer Qualität als die der erstgenannten Handschrift sind, zeigt sich etwa bei Tierdarstellungen (z.B. Cvl 5415, 235r – CCl 125, 8r oder Cvp 5415, 238r – CCl 125, 8v), in einer Reihe von in CCl 125 ungeschickt oder unverstanden wiedergegebenen Details – etwa in der falsch wiedergegebenen Öffnung des Wasserkruges auf 9r, im Fehlen der vorderen Hälfte des Jagdhorns auf 13v oder in der ungeschickteren Kopie des Schiffes Argo auf 14r –, vor allem jedoch bei den Aktfiguren, wie ein Vergleich der Sternbilder des Schlangenhalters (Cvp 5415, 277r – CCl 125, 10v) zeigen kann. Der etwa doppelt so große Schlangenhalter in Cvp 5415 ist weitaus athletischer gebaut. Muskelpartien und Gelenke sind deutlich herausmodelliert, der Oberkörper ist gewölbt, Schlüsselbeine, Brustbein, Brustmuskel und Rippenbögen sind mit sicherer Hand durch wenige Striche angedeutet. Die Bewegungen sind weniger steif, die Konturen gerundeter, Gesicht, Hände und Füße differenzierter wiedergegeben als in CCl 125.
Athletisch gebaute Figuren sind in der zeitgenössischen
Tafelmalerei und Handzeichnung des Wiener Raumes allgemein
verbreitet (man vergleiche etwa den Schlangenhalter des Cvp
5415 mit Christus und Antipater auf 35v der Madrider
Nach Saxl stammen die Illustrationen des Sternkatalogs und
die beiden Sternkarten "vident von derselben Hand". Die weit
kleineren, in der Regel von hinten gesehenen Figürchen
(⇒Anm. 108-3)
der Sternkarten stehen in ihrer stämmigen Gestalt und mit
ihrer betonten Beinmuskulatur den Sternkatalog-Darstellungen
von Cvp 5415 näher (vgl. z.B. Andromeda auf 168r und 230v)
als jenen von CCl 125. Die große Verwandtschaft zu den
Sternkatalog-Darstellungen des Cvp 5415 ist z.B. auch
erkennbar in der Bewegung und in den Proportionen des
Kentauren (vgl. Cvp 5415, 170r – 249r – CCl 125, 15rb), in
der Proportionen und in der Zeichnung der mächtigen Pranken
des Löwen (vgl. Cvp 5415, 168r – 235r – CCl 125, 8r), in der
Zeichnung der Vorderläufe und der Flügelfedern des Pegasus
(vgl. Cvp 5415, 168r – 229v – CCl 125, 15va), in der
Wiedergabe des Großen Hundes
Sternbildkataloge – allerdings in Deckfarbenmalerei – sind
auch in den für Wenzel IV angefertigten astronomischen
Handschriften Cvp 2352 (datiert 1392 und 1393) und München,
BSB, Clm 826 (um 1400) enthalten.
(⇒Anm. 109-1)
Doch kommen diese
Darstellungen schon deshalb als Vorbilder nicht in Betracht,
weil sie einer anderen ikonographischen Tradition als die
des Cvp 5415 folgen.
(⇒Anm. 109-2).
Gemeinsam ist den Sternbild-Katalogen der beiden Wenzelshandschriften die Verarbeitung
oberitalienischer Vorbilder: Für die Sternbilder des Cvp
2352 nimmt Krasa eine Vorlage in der Art der um die Mitte
des 14. Jahrhunderts entstandenen oberitalienischen
Handschrift München, BSB, Clm 10268
(⇒Anm. 109-3)
an, im Falle der
Sternbilderreihe des Münchener Codex 826 ist das Vorbild in
einer oberitalienischen Handschrift (Prag, Strahov-Bibl.,
Cod. II D 13) noch greifbar.
(⇒Anm. 109-4)
Die Ansicht, daß auch der
Sternbilderreihe des Cvp 5415 eine oberitalienische Vorlage
zugrundeliegt, hat bereits Saxl
(⇒Anm. 109-5)
vertreten. Für eine
direkte oder indirekte Verarbeitung einer solchen –
unwesentlich jüngeren – Vorlage sprechen wohl vor allem der
Naturalismus der Tierdarstellungen, die
Die Klosterneuburger Handschriften des Illuminators Michael
Einen zusammenfassenden Überblick über das Werk dieses von den frühen zwanziger Jahren bis gegen 1450 nachweisbaren Illuminators geben Oettinger, Holter und Schmidt. (⇒Anm. 110-1) Als Spätwerke sind seinem ouevre das Klosterneuburger Missale Budapest, Bibl. der Akad. der Wissenschaften, lat. cod. 4o 27 (⇒Kat.-Nr.52) sowie die Heiligenlebenhandschrift Cvp Ser. n. 15166 (⇒Kat.-Nr.58) hinzuzufügen. Eine Lokalisierung der letztgenannten Handschrift in den Wiener Raum wird durch den Einband – vom Wiener Buchbindermeister Mathias (⇒Anm. 110-2) – nahegelegt; für eine Entstehung um 1445 spricht der Tätigkeitszeitraum des genannten Buchbinders sowie die in ihrer Art etwa mit der 1446 entstandenen Geburtsszene auf 13v des Cvp 326 vergleichbare Landschaftsdarstellung der Miniatur zum Buchbeginn.
Die früheste Klosterneuburger Handschrift, in der dieser Illuminator faßbar wird, ist das Antiphonar CCl 65-68 (⇒Kat.-Nr.36) Im 1420/24 entstandenen Grundstock desselben hat er die historisierten Initialen CCl 65, 147r (Beschneidung), 157v (Epiphanie), CCl 66, 102v (Ölberg), 113v (Kreuzigung) und den Großteil der unfigürlichen Initialen ausgeführt, in den Ergänzungen von gegen 1440 (⇒Anm. 110-3) ist ihm der gesamte Deckfarbenschmuck (zwei historisierte Initialen mit Darstellung der Evangelistensymbole auf CCl 65, 302r und CCl 67, 279r sowie sieben unfigürliche Initialen) zuzuschreiben.
Was für die Zurechnung der Mehrzahl der unfigürlichen
Initialen des Antiphonars an Michael spricht, ist die
Tatsache, daß das Ornamentvokabular von auf den ersten Blick
so unterschiedlichen Initialen wie CCl 67, 76v, CCl 66,
234v, 260r, CCl 67, 75r, CCl 68, 256v in auf Grund ihrer
figürlichen Darstellungen dem Michael zugeschriebenen
Handschriften wiederbegegnet.
Unter den Rankenblattformen der Michael-Initialen des Antiphonars herrschen – ähnlich wie bei der Gruppe der Initialen um CCl 65, 2v – zwei Varianten meist sechsteiliger Blätter vor, wobei die beiden mittleren und größten oder auch alle Blattlappen einmal gerade und einmal runde Abschlüsse aufweisen (beide Varianten etwa bei den Initialen CCl 66, 102r und CCl 67, 76v). Rankenblätter der letztgenannten Variante überwiegen etwa bei den Initialen CCl 66, 234v oder im Missale des Collegium ducale (fortam als "Aachener Missale") bezeichnet) (⇒Anm. 111-1) auf 7r und 148r, Rankenblätter der erstgenannten Art sind z.B. auf 75r des CCl 67 oder auf 110r und 147v des Aachener Missales nachweisbar.
Die ungewöhnlichen Rankenblattformen der Initiale CCl 68,
256v lassen sich in den 1429 illuminierten Handschriften
Graz, UB, Cod. 23 (Bl. 161r)
(⇒Anm. 111-2)
und CCl 97 (Bl. 1r)
nachweisen; die Initiale CCl 66, 260r entspricht in
Buchstabenkörperfüllung und Binnengrundornamentik der
Adventinitiale (7r) des Aachener Missales, während ihre
Ausläufer denen der Adventinitiale (6v) des Klagenfurter
Missales
(⇒Anm. 111-3)
nahestehen.
Neben dem schon von den Rankenausläufern der historisierten "Nikolaus"-Initialen des Antiphonars her bekannten Vier-Beeren-Motiv sind bei den Michael-Initialen bisweilen auch drei oder vier rundlappige oder sternförmige Blümchen durch in allen Michael-Handschriften stets denselben Duktus aufweisende Federstriche miteinander und mit der Blattranke verbunden (z.B. CCl 65, 170v, CCl 97, 258v, CCl 67, 76v, Lilienfeld, Cod. 100, 70r, Kremnitzer Stadtbuch, Seiten 6, 9).
Eine Gruppe von Antiphonar-Initialen stammt von jener Hand, der die Ornamentik des Kreuzigungsblattes des um 1420 entstandenen Kremnitzer Stadtbuches (⇒Anm. 112-1) und wahrscheinlich auch die beiden Deckfarbeninitialen des 1423/24 geschriebenen CCl 121 (⇒Kat.-Nr.54) zuzuschreiben sind. Die Ornamentik des genannten Stadtbuch-Blattes weicht nicht nur von der der übrigen, von Meister Michael illuminierten Blätter dieser Handschrift ab, sondern auch von dem Kanonbild des in etwa gleichzeitig entstandenen Missales des Collegium ducale, dessen Kanonbild-Figuren – wie Schmidt erkannt hat – von derselben Hand wie die des Kremnitzer Kreuzigungsblattes stammen. Das letztgenannte Blatt zeigt einen unornamentierten breiten Rahmen, bei dem nur die unterste – bei Michael hingegen stets die obere und rechte – der abgeschrägten Innenseiten des Rahmens aufgehellt ist, im Binnengrund finden sich nicht jene strauchartigen, jeweils in drei Blättchen endenden Ranken wie sie im Kanonblatt des Aachener Missales und in Dutzenden anderen Michael-Initialen nachweisbar sind, sondern ein achsial symmetrisches Muster aus reich mit Blättchen besetzten Spiralranken, und auch die Rankenblattformen sind gegenüber den bei Michael vorherrschenden Formen, wie sie etwa das Kanonbild des Aachener Missales zeigt, verschieden.
Derselben Hand wie die Ornamentik des Kreuzigungsblattes des
Kremnitzer Stadtbuches sind im Antiphonar etwa die
Initialen
Die dem Michael zugeschriebenen historisierten Initialen des
Antiphonars sind stilistisch eindeutig mit anderen
figürlichen Darstellungen dieses Illuminators zu verbinden.
Der Ölbergszene des Antiphonars am nächsten steht die des
Aachener Missales. Die Christusfiguren sind in Haltung und
Faltenstil aber auch in Physiognomie und Haartracht gut
vergleichbar. Sie zeigen dieselbe spitz zulaufende Kopfform;
Haarsträhnen werden – wie beim im Gesichtstypus ansonsten
nicht vergleichbaren Schmerzensmann des Klagenfurter
Missales – durch geschwungene Doppellinien markiert. Gut
vergleichbar mit der Physiognomie des Christus und rechten
Apostels von CCl 66, 102v ist auch die Maria des Kanonbildes
des Grazer Codex 123: in den punktförmigen Augen, dem
kleinen, gebogenen Mund und der langen Nase mit schmaler
Nasenwurzel. Im wesentlichen dasselbe Drapierungsschema –
man beachte etwa den hochgestellt wirkenden Saumteil vor dem
vorgesetzten linken Knie – zeigen der Ölberg-Christus auf 6r
des Kremnitzer Stadtbuches
(⇒Anm. 113-1)
und die Maria auf 10r des
1423 datierten Cvp 2780.
Gemeinsam ist den vier Szenen auch die völlig identische Wiedergabe der Bäume: der Stamm ist in Hellbraun und Gelb gehalten, die Blätter heben sich in Gelb, Dunkelgrün und Braun vor hellgrünem Untergrund ab. In genau derselben Art ist auch der Baum der Ölbergszene des CCl 613 (99r) gesehen, während auf 57v derselben Handschrift, bei der Ölbergszene des CCl 78 (151r) oder auf 264v des Cvp 326 die Bäumchen summarischer gezeichnet sind. Die Maria der Epiphanie ist in ihrer Physiognomie und im kubisch gesehenen Unterleib, der durch vom vorderen, stark aufgehellten Knie ausgehenden, durchhängenden Röhrenfalten gegliedert ist, den Sitzfiguren des 1423 datierten Cvp 2780 an die Seite zu stellen.
In die späte Schaffenszeit des Michael gehören hingegen die Initialen der dem Antiphonar später hinzugefügten Teile. Die Blätter der in einfacher Wellenform verlaufenden und weder mit Blüten noch mit Drolerien besetzten Ranken sind gegenüber denen älterer Michael-Handschriften deutlich vereinfacht und werden kaum noch variiert; die Palette ist dünkler geworden, die Malweise summarischer. Auf demselben Niveau stehen die Rankenausläufer der Michael-Handschriften der Wiener Schottenbibliothek (vgl. z.B. Cod. 88, 10r) sowie der Großteil der Michael-Initialen von Cvp 326 und Cvp 1767 (z.B. 220r). Dies und eine wahrscheinlich auf dieses Antiphonar zu beziehende Rechnungsbucheintragung aus dem Jahre 1440, die eine Zahlung verzeichnet, die wohl für die Anschaffung von Einbandleder geleistet wurde, legen eine Datierung des Buchschmucks der Ergänzungen gegen 1440 nahe.
Der 1429 illuminierte CCl 97
(⇒Kat.-Nr.53)
wird durch eine
historisierte Initiale mit dem thronenden Gott Vater
eingeleitet. Dieser entspricht in Typus und Körperhaltung
der Figur der Adventinitiale des Aachener Missales
(⇒Anm. 114-1),
sein Faltenstil
Die beiden Missalien CCl 78 (⇒Kat.-Nr.55) und CCl 613 (⇒Kat.-Nr.56) werden in der Literatur unterschiedlich datiert. Während Schmidt den CCl 78 um 1430 und den CCl 613 um 1435/40 ansetzt, nimmt Oettinger die Entstehung des CCl 613 in den Jahren 1437/1438 an und betrachtet den CCl 78 als "jüngstes Werk" des Michael, also als nach 1447/1448 (Cvp 1767) entstanden. (⇒Anm. 116-1) Der in CCl 613 vorgetragene Drapierungsstil mit seinen ungebrochenen, langen Röhrenfalten und den am Boden auslaufenden breiten Stoffbahnen (siehe z.B. 39r, 50r, 64r, 99r) steht noch auf dem Niveau der 1429 illuminierten Handschriften CCl 97 und Graz, UB, Cod. 23 sowie des St. Lambrechter Missales Graz, UB, Cod. 123 (Maria des Kanonbildes!). So ist etwa die Maria der Pfingstinitiale CCl 613, 64r gut vergleichbar mit dem Kaiser auf 1r des Grazer Codex 23. Ein teilweise ähnlicher Faltenstil – wenn auch auf höherem Qualitätsniveau – begegnet im vor 1437 vom Albrechtsminiator illuminierten Cvp 2722 – etwa beim Christus der Dornenkrönung auf 76v, der wie die beiden oben genannten Sitzfiguren einen an der Basis eckig umbrechenden U-förmigen Faltenwulst zeigt. Auch in der Ornamentik ergeben sich zwischen CCl 613 und den Handschriften um 1430 Berührungspunkte: in der Verwendung meist dichter und mit zahlreichen Blüten besetzter Ranken (vgl. z.B. CCl 613, 1r, 42v mit Lilienfeld, Cod. 100, 1r) und von Camaieu-Figuren als Buchstabenkörper-Füllung.
Allein der gegenüber CCl 613 kleinteiligere und knittrigere
Faltenstil des CCl 78 – man vergleiche etwa die Drapierung
des Christus der Ölbergszenen CCl 613, 99r und CCl 78, 151r
oder die der Maria aus den Darstellungen der Ausgießung des
Heiligen Geistes CCl 613, 64r und CCl 78, 134r – spricht für
eine spätere Datierung dieser Handschrift. Im Faltenstil
Für eine spätere Datierung des CCl 78 spricht auch das gegenüber CCl 613 gestiegene Interesse des Illuminators am Umraum der Figuren. (⇒Anm. 117-1) In der erstgenannten Handschrift finden sich bereits in Luftperspektive gegebene Landschaftsausblicke von der Art, wie sie auch in der um 1445 entstandenen Ladislaus-Grammatik Cvp 23 (⇒Anm. 117-2), im 1446 datierten Cvp 326 auf 13v, im 1447/48 entstandenen Cvp 1767 (z.B. auf 220r) und in der undatierten Heiligenleben-Handschrift Ser. n. 15166 vorkommen, während in CCl 613 auch bei Freiraumszenen der Hintergrund durch ein architektonisches Motiv (z.B. 57v) oder konventionell durch Versatzstücke wie Felsen und Bäume (z.B. 79v) gestaltet ist.
Die Architekturdarstellungen des CCl 78 (9r, 21r, 28v, 134r) sind zwar gegenüber denen des CCl 613 geringfügig "realistischer" geworden – die Palette ist nicht mehr buntfarbig wie in CCl 613, sondern beschränkt sich auf Braun und Gelb; in die Architekturdarstellungen werden erstmals realistische Details wie der Flaschentrockner und Handtuchhalter auf 9r des CCl 78 eingefügt –, doch sind die Innenräume des CCl 78 im Vergleich zu denen des Cvp 326 (z.B. 11r) und Cvp 1767 (220r) weit weniger überzeugend, sind noch durch Addition architektonischer Einzelmotive – besonders deutlich bei CCl 78, 9r – konstruiert.
Ein meiner Meinung nach weiterer zuverlässiger Beweis dafür,
daß CCl 78 älter als der 1446 datierte Cvp 326 ist, ist in
den beiden Darstellungen der Geburt Christi (CCl 78, 21r -
Cvp 326, 13v) zu finden. Auf die teilweise architektonische
Szenenrahmung, die in CCl 78 offensichtlich nur die Funktion
Was dafür spricht, daß CCl 78 gleich CCl 613 noch zur Regierungszeit des Propstes Georg Müstinger (1418-1442) entstanden ist, ist die Tatsache, daß der Chorherrenpropst auf 9r er erstgenannten Handschrift als alter Mann dargestellt ist. Georg Müstinger starb etwa 55jährig, sein Nachfolger Simon vom Thurm (1442-1451) war zu diesem Zeitpunkt vermutlich erst Anfang Vierzig. (⇒Anm. 118-3) Nach den bisherigen Ausführungen erscheint mir eine Datierung des CCl 613 um 1430/35 des CCl 78 um 1440 am wahrscheinlichsten.
In der Literatur noch nicht bekannt ist, daß in dem aufgrund
einer Reihe von inhaltlichen und äußeren Merkmalen
zweifelsfrei aus dem Besitz der Chorherren von
Klosterneuburg stammenden Missale Budapest, Bibl. der
Akademie der Wissenschaften, lat. cod. 4o 27
(⇒Kat.-Nr.52)
(⇒Anm. 118-4)
die Adventinitiale (7r) und das Kanonbild (150/2v)
dem Illuminator Michael zuzuweisen sind.
Kanonbilder von der Hand des Illuminators Michael haben sich
nur in den beiden St. Lambrechter Missalien Graz, UB, Cod.
123 und 128 erhalten. Zu diesen zeigt das Kanonbild des
Budapester Missales neben Beziehungen in der Ornamentik
– die Goldranke mit großen stilisierten Blüten entspricht der
des Cod. 128, das das Kanonbild konturierende Fleuronnée
findet sich in derselben Form bei den Kanonbildern beider
St. Lambrechter Missalien – deutliche Übereinstimmungen in
der Wiedergabe des Gekreuzigten, der denselben
Gesichtstypus, dieselben überdünnen, viel zu kurzen
Oberarme und dieselbe Oberkörper-Binnenzeichnung – mit hoch
angesetzter Brustmuskelkontur – aufweist. Die drei
Gekreuzigten stimmen auch in der
Am nächsten kommt dem Budapester Gekreuzigten der etwa 6 cm
große Kruzifixus am unteren Seitenrand auf CCl 613, 102v. Er
steht in seiner Körperhaltung zwischen den St. Lambrechter
Gekreuzigten (gegenüber diesen durchgestrecktere Beine) und
dem Budapester Kruzifixus (gegenüber diesem weniger stark
Mit dem kleinen Papstfigürchen der nur fünfzeiligen Initiale auf 7r sind die etwa doppelt so großen Figuren der Advent- (8r) und Kanon-Initiale (222r) des Missales Graz, UB, Cod. 128 vergleichbar; der Papst erinnert in seiner etwa stärkeren Plastizität und in der flüchtigeren Pinselführung an Michael-Miniaturen in Handschriften der Wiener Schottenbibliothek, z.B. an Cod. 3, 1v.
Zwischen den Assistenzfiguren der Budapester Kreuzigung und
denen der St. Lambrechter Kanonbilder bestehen nicht nur
keine ikonographischen sondern auch kaum stilistische
Beziehungen. Die in ihrer Qualität weitaus schwächeren des
Budapester Missales zeigen ein einfacheres Faltenrelief.
Während der Gewandsaum des Johannes noch durchaus in der Art
des der Maria von Cod. 123 sich am Boden ausbreitet
(⇒Anm. 121-2),
knicken die Faltenzüge der Budapester Maria beim Aufstoßen
am Boden deutlich um. Dieses Motiv, die sehr summarische
Malweise, vor
Eine Untersuchung der Sekundärornamentik (Fleuronnée, Lombarden) von Michael illuminierter Handschriften erweist eindeutig, daß auch er Fleuronnéeinitialen geschaffen hat. Mit ihm ist jene Kraft zu identifizieren, die auf den gegen 1440 eingefügten Blättern 302-355 in CCl 65, 308-316 in CCl 66 und 297-310 in CCl 67 die Fleuronnéeinitialen ausgeführt hat. (⇒Anm. 122-2)
Was zur Identifizierung des Florators der genannten
Antiphonarblätter mit Michael berechtigt, ist, daß
Fleuronnée derselben Hand nur in von Michael illuminierten
Handschriften zu Lombarden und/oder als Begleitornament von
Miniaturen oder Rankenstengeln begegnet. Von derselben Hand
wie die Fleuronnéeinitialen der genannten Blätter stammen
die des CCl 682 sowie je eine Fleuronnéeinitiale in CCl 78
(26v) und auf einem Missale-Einzelblatt.
(⇒Anm. 122-3)
In CCl 613 ist
das gesamte Fleuronnée und sind die mit der Sigle B
bezeichneten Lombarden
Charakteristisch für das "Michael-Fleuronnée" ist die Form der streng vertikal und bisweilen auch horizontal verlaufenden Fortsätze, die – häufig fast bis über ihre gesamte Länge – mit locker aneinandergereihten Perlen besetzt sind, in der Nähe der Initiale oft stilisierte Halbpalmetten einschließen und in mäanderförmigen Schlingen auslaufen (siehe z.B. CCl 65, 349v, CCl 78, 26v, CCl 613, 37v, 76v, 105v, CCl 682, 158v, 203v). Das Fleuronnée ist jeweils in der Gegenfarbe des Buchstabenkörpers gehalten, wobei allerdings das zu den blauen Lombarden zwischen verschiedenen Rottönen und Hellbraun schwankt.
Als Umrahmung von Miniaturen findet sich das Michael-Fleuronnée
schließlich bei den Kanonbildern der St.
Lambrechter Missalien Graz, UB, Cod. 123 und 128 und des
Budapester Missales (mit dem Fleuronnée dieser Kanonbilder
vergleiche etwa CCl 682, 2v) oder bei den Miniaturen Wien,
Schottenbibl., Cod. 2, 52r und Cod. 3, 1v (mit letzterem
vergleiche etwa CCl 65, 349v oder CCl 613, 102v); als
Begleitornament in Form einer Perlenreihe zu am Seitenrand
oder zwischen den Kolumnen geführten Rankenstengeln ist es
unter anderem auf 7r des Budapester Missales, auf 1r des Cvp
Ser. n. 15166 oder auf 220r in Cvp 1767 nachweisbar.
Der Meister der Klosterneuburger Missalien
Der Name "Meister der Klosterneuburger Missalien" (fortan als "Missalienmeister" bezeichnet) wurde von Schmidt (⇒Anm. 124-1) für einen Illuminator gewählt, den Holter (⇒Anm. 124-2) als Schüler des Albrechtsminiators bezeichnet und die nicht näher spezifizierte "Gruppe um den Klosterneuburger Codex 72" zugeschrieben hat. Schmidt hat erstmals ein oeuvre dieses Meisters zusammengestellt und ihn näher charakterisiert. Er spezifiziert dessen Anteil in den beiden 1446-1448 für Friedrich III. geschaffenen Handschriften Cvp 326 (⇒Kat.-Nr.59 – Legenda aurea) und Cvp 1767 (⇒Kat.-Nr.60 – Gebetbuch) und schreibt ihm die Malereien in fünf Klosterneuburger Missalien zu, die er – aufgrund ihrer Verwandtschaft zu denen der beiden vorgenannten Codices und auf Grund von in den Missalien enthaltenen Datierungen (CCl 72 ist 1452 datiert, CCl 609 ist an Hand des Propstwappens auf 9r 1443/1451 entstanden) – im Zeitraum 1445/1452 entstanden denkt. (⇒Anm. 124-3)
Die Nähe des Missalienmeisters zum Albrechtsminiator sieht
Schmidt vor allem in der Ornamentik aber auch im Figurenstil
begründet. Als Gegensatz zum Albrechtsminiator nennt er
unter anderem "sorglosere Fraktur, hellere Palette und
relativ knittriger Faltenstil." Außerdem hebt er das
Interesse des Missalienmeisters an weiten, mit Bäumchen
bestandenen Landschaftsprospekten hervor. Über die
stilistische Entwicklung dieses Illuminators sagt Schmidt:
"Technisch und stilistisch sehr ungleichmäßig, gelangt er
zuletzt doch auf ein leidliches künstlerisches Niveau, wobei
die kontinuierliche Anpassung an den Albrechtsminiator eine
scheinbare Rückläufigkeit seiner Stilentwicklung bewirkt
haben dürfte. In seinen ersten Malereien noch den
Ausdruckswerten der "Dunklen Zeit"
Diese technischen und stilistischen Unterschiede (⇒Anm. 125-1) sind meiner Meinung nach jedoch so groß, daß es notwendig ist, das dem Missalienmeister zugeschriegene ouevre einer Überprüfung zu unterziehen. Ausgegangen soll dabei von den großen Hofaufträgen Cvp 326 (1446-1447) und Cvp 1767 (1447-1448) werden.
Im Cvp 326 hat der Albrechtsminiator nur das erste Blatt illuminiert, Martinus hat hingegen den Deckfarbenschmuck von 24 Lagen und Michael den von drei Lagen ausgeführt. Der Schmuck weiterer sieben Lagen wird von Schmidt dem Missalienmeister zugeschrieben; zwei Lagen sind nicht illuminiert. Während sich hier die Illuminatoren immer nur zu Beginn einer neuen Lage ablösen, sind in Cvp 1767 am Deckfarbenschmuck einer einzigen Lage meist zwei Kräfte beteiligt. So hat der Albrechtsminiator in einer Reihe von Lagen nur jeweils jene Doppelblätter zur Gänze illuminiert (z.B. Doppelblatt 151/156 in Lage 17), die er mit einer historisierten Initiale (in Lage 17 auf 151v) geschmückt hat, während Martinus in einzelnen Lagen (z.B. in den Lagen 9-13) nur die figürlichen Initialen ausgeführt hat. Die unfigürlichen Initialen der mit Figurenschmuck von der Hand des Albrechtsminiators bzw. Martinus versehenen Lagen wurden – ausgenommen Lage 11 – vom Missalienmeister geschaffen.
Daß sich dieser in seiner Ornamentik eng an den
Albrechtsminiator anschließt, wird in Cvp 1767 besonders
deutlich. Die Blattranken der ihm zugeschriebenen
figürlichen Initialen – die unfigürlichen sind in der Regel
ohne Blattfortsätze –
An den unfigürlichen Initialen des Cvp 1767 waren neben Michael, Albrechtsminiator, Martinus und Missalienmeister mit Sicherheit mindestens zwei weitere Hilfskräfte beteiligt: jene Hand, die erstmals in Lage 4 auftritt und jene, die das Doppelblatt 179/180 ausgeschmückt hat. Die erstgenannte hat auch Lage 6 zur Gänze ausgeschmückt und in Lage 11 zumindestens die Deckfarbeninitialen geschaffen (die Goldinitialen dieser Lage sind hingegen von jenen des Missalienmeisters nicht überzeugend absetzbar). Die Initialen dieser Hand (in den Lagen 4 und 6 – im Gegensatz zu Lage 11 und zu allen vom Albrechtsminiator und Missalienmeister illuminierten Blättern – keine Goldinitialen) zeigen fast ausnahmslos eine wellenförmige Blattrankenfüllung, deren Blattspitzen in der Regel weiß schraffiert sind. In Lage 4 und 6 laufen die Initialen in jeweils zwei große Blätter mit auffällig betont tropfenförmigen Blattrippen aus; die Initialen der Lage 11 haben keine Ausläufer. Die großen Blattformen und die Binnengrundornamentik dieser Initialen variieren geringfügig die entsprechenden Formen der beiden oben genannten Illuminatoren. Von einer einzigen Hand dürften die ab der 6. Lage bis zum Ende der Handschrift bei unfigürlichen Initialen des "Meister der 4. Lage" und des Missalienmeisters auftretenden stilisierten Blüten (als Ausläufer der Initialen) und Tiere (auf Blattfortsätzen dieser Initialen) stammen.
In den dem Missalienmeister zugeschriebenen Lagen des Cvp
326 finden sich insgesamt 50 9-13zeilige historisierte
Initialen oder Miniaturen. Der Buchstabenkörper oder Rahmen
der Miniatur entwickelt
Als Gewandfarben werden meist Rosa und Blau verwendet; Grün und Braun sind hingegen in der Regel der Darstellung der Landschaft oder des Innenraums vorbehalten. Die Farben sind stumpf und wenig differenziert. Bei der Binnenzeichnung der Gesichter und anderer nackter Körperteile werden Weiß, Rot, Braun und Grau fast skizzenhaft aufgetragen; Arme und Beine halbnackter Märtyrer werden von einem Liniengespinst überzogen (z.B. Cvp 326, 261v, 263r). Die Abschattierung des Gewandes erfolgt häufig durch aufgesetzte dunkle Punkte.
Dort wo eine Beurteilung des Faltenstils möglich ist, ist
er als knittrig zu bezeichnen. Geknickte Falten zeigen etwa
die Ärmel der Schergen und das Lendentuch des Märtyrers auf
227v in Cvp 326; geknickte Faltenzüge finden sich vor allem
auch dort, wo das Gewand am Boden aufstößt (Cvp 326, 278v
etc.). Nur selten werden die Darstellungen vor ornamental
gemusterten Initialgrund gesetzt, meist in einen Innenraum
oder vor Landschaftshintergrund (z.B. Cvp 326, 203v, 278v,
257r). Der Innenraum wird stets als Raumecke gegeben; meist
so, daß seine linke Seitenwand die Hintergrundsfolie für
den Schergen bildet, ein vor die bildparallele Rückwand
gehängtes Ehrentuch die für das Opfer. Fußboden und Decke
zeigen häufig ein Schachbrettmuster; eine Holzbalkendecke
wird stets gewölbt gesehen (z.B. Cvp 326, 229v). Die
Landschaftsdarstellungen – bei rund einem Drittel der 50 dem
Missalienmeister im Cvp 326 zugeschriebenen Darstellungen &ndsh;
zeigen einen kaum differenzierten,
Den Missalienmeister-Darstellungen des Cvp 326 eng verwandt
ist der Deckfarbenschmuck der etwa 1440/50 entstandenen
Handschriften Wien, Schottenbibl., Cod. 165
(⇒Anm. 128-2)
und
Klosterneuburg, Cod. 956
(⇒Anm. 128-3)
– man vergleiche etwa die
völlig übereinstimmenden, in hellen Farben gehaltenen
Blattranken und die ähnlichen Buchstabenkörperfüllungen.
Während die figürlichen Darstellungen des CCl 956 wegen
ihrer Kleinheit und minderen Qualität für einen Vergleich
ungeeignet sind, zeigt das Autorbild im Schotten-Codex
deutliche Beziehungen zu den in Rede stehenden Darstellungen
des Cvp 326: so in der Art der knittrigen Drapierung
(dieselben dreieckähnlichen Faltentäler etwa bei Cvp 326,
277v) und im in seiner Reliefierung und dem durchbrochenen
Ornament engstens mit dem Lesepult des Augustinus (Cvp 326,
210r) übereinstimmenden Thronmöbel.
Den Missalienmeister-Darstellungen des Cvp 326 engstens verwandt ist die T(e igitur)-Initiale mit Christus am Ölberg auf Bl. 150/3r des Klosterneuburger Missales Budapest, Bibl. der Akad. der Wissenschaften, lat. cod. 4o 27 (⇒Kat.-Nr.52). In der Gestaltung des Landschaftsgrundes, in der Drapierung, die beim Aufstoßen am Boden umknickt und flach aufliegende Stoffbahnen ausbildet, ist etwa Cvp 326, 227v vergleichbar – während der Faltenwurf der knienden Figuren des Cvp 326 in der Regel kleinteiliger und knittriger ausgebildet ist (z.B. 229v, 278v). Die Blattranken der Seitenränder sind in ihrem Verlauf und ihren Blattformen völlig identisch mit jenen von CCl 616, 164r.
Allein in ihrer Größe aus der Masse der z.T. qualitativ sehr bescheidenen Missalienmeister-Darstellungen des Cvp 326 herausragend sind die Hieronymus-Darstellung auf 210r und die vier historisierten Initialen der 28. Lage (219r Dionysius, 221r Calixtus, 221v Leonhardus, 223r Lucas); in jener Lage, die als einzige unter den dem Missalienmeister zugeschriebenen Lagen des Cvp 326 anstelle von kurzen Blattfortsätzen der Initialen sich über die gesamte Blatthöhe hinziehende wellenförmig bewegte Blattranken mit Blütenmotiven aufweist. Vergleichbare Darstellungen enthalten 270r-271r des 1447-1448 datierten Stundenbuches Cvp 1767. Der Bildschmuck dieser Blätter wird von Holter (⇒Anm. 129-1) zur "vom Albrechtsminiator und seinen Schülern" ausgeführten Gruppe zugezählt, während er bei Schmidt (⇒Anm. 129-2) – wohl aus Versehen – nicht in die Liste der dem Missalienmeister zugeschriebenen Initialdarstellungen des Cvp 1767 aufgenommen worden ist.
In den Landschaftsdarstellungen auf 270r (Sebastian) und
270v (Barbara) des Cvp 1767 finden sich dieselben
Versatzstücke wie in Cvp 326 (z.B. 19r, 263r), doch in
abweichender Anordnung und in differenzierterer Form- und
Farbgebung. Die Palette ist heller geworden, der
Wiesengrund zeigt einen kontinuierlichen Übergang vom
Rotbraun des Vordergrundes zum Grün des Mittel- und
Hintergrundes, das Laubwerk des
Die auf genannten Seiten dargestellten Innenräume (270v Maria Magdalena, 271r Helena) sind im Gegensatz zu denen des Cvp 326 in Zentralperspektive gesehen; mit Fußboden in Schachbrettmusterung, Kassettendecke und ornamentiertem Ehrentuch an der Rückwand des Raumes findet dabei dasselbe Formenvokabular wie in Cvp 326 Anwendung.
Der Figuren- und Faltenstil der Darstellungen auf 270r-271r
zeigt zum Teil Beziehungen zum Albrechtsmeister.
(⇒Anm. 130-1)
So
erinnern die Aktfiguren dieser Blätter mit ihrer in grauen
Pinselstrichen eingetragenen Binnenzeichnung des Oberkörpers
an den Schmerzensmann des 1440 datierten Geus-Epitaphs. In
der Binnenzeichnung des Oberkörpers steht der Sebastian
(⇒Anm. 130-2)
auf 270r diesem sehr nahe; seine Muskelpartien sind freilich
weit weniger plastisch herausmodelliert als die des
Schmerzensmannes. Der Drapierungsstil steht den 1438
entstandenen Tafeln mit der Vertreibung aus dem Tempel und
der Verkündigung an Joachim näher als denen des 1438/40
datierten Albrechtsaltares. Eine ähnliche Abfolge
unregelmäßig geformter, muldenförmiger Faltentäler wie bei
der Helena und Maria der Kreuzigung auf 271r (in
schematisierterer Form auch bei der Verena auf 277v in Cvp
326) begegnet bei der Anna der erstgenannten Szene (auch
beim Patriarchen am linken Bildrand der entsprechenden Szene
des Albrechtsaltares);
Die von Schmidt dem Missalienmeister zugesprochenen Darstellungen des Cvp 1767 sind mit jenen der Blätter 270r-271r zum Teil eng verwandt. Die Zuschreibung des Christophorus (196v) und Aegidius (211v) an den Missalienmeister hält Schmidt für möglich; beide stammen jedoch zweifelos von der Hand des Albrechtsminiators, da sie in Malweise, in den Physiognomien und im Faltenstil völlig mit den anderen dem Albrechtsminiator zugeschriebenen Darstellungen in Cvp 1767 übereinstimmen. Man vergleiche etwa das Faltengeschiebe am Ärmel des Aegidius mit dem des Josefs aus der Beschneidung (47r) oder mit dem zweier Könige der Epiphanie (64r), oder die Art wie das Gewand des Aegiidus am Boden umbricht mit dem Erasmus (145v) oder Bartholomaeus (207r) oder Christus (230r).
Der Florian auf 134*r unterscheidet sich in seiner offenen Malweise sowohl von Darstellungen des Albrechtsminiators als auch von jenen auf 270r-271r (man vergleiche etwa die Physiognomie des Sebastian auf 270r und den Innenraum der Helena auf 271r) und rückt ihn in die Nähe von Darstellungen wie Cvp 326, 19r, 203v, 261v. Die Form der Blattfüllung der Florian-Initiale sowie der sich an den Seitenrändern hinziehenden Blattranken stimmt völlig mit der Epiphanieinitiale (64r) von der Hand des Albrechtsminiators überein, doch ist die Malweise flüchtiger und das Kolorit stumpfer.
Die auf den Florian folgende, in derselben Lage befindliche
Darstellung der Helena (139v) wird von Schmidt nicht dem
ouevre des Missalienmeisters zugerechnet. Nun stimmen aber
Helena und Maria der Visitatio (187v) – die von Schmidt dem
Missalienmeister
Deutliche Beziehungen zu Bl. 270r-271r zeigt der Petrus auf 181v. Die Faltenformeln seines gerafften Gewandteils sind gut mit jenen der Helena auf 271r vergleichbar, deren Gewand jedoch deutlicher am Boden umknickt und deren Konturen – man vergleiche die jeweils linke Körperkontur und die Konturen der Saumlinien – eckiger ausgebildet sind. Dem Petrus ist in der Malweise des Gesichtes und im Faltenstil der Heinrich auf 191v anzuschließen, dem Paulus auf 181r in den Formeln des am Boden aufstoßenden Gewandes und in der Physiognomie mit grau konturierter, gebogter Nase der Vitus auf 177r. Dem Leonhardus auf 235v ist im Drapierungsstil und in der sehr sorgfältigen Malweise die Barbara und Maria Magdalena auf 270v vergleichbar. Demgegenüber ist der weit schwächere Leonhardus auf 221v des Cvp 326 – dem etwa der Franciscus auf 15r derselben Handschrift an die Seite zu stellen ist – wohl von anderer Hand.
Die von Schmidt mit dem Missalienmeister in Zusammenhang
gebrachten Darstellungen in Cvp 1767 (ausgenommen die dem
Albrechtsminiator zuzuschreibenden auf 196v und 211v) sowie
die Helena auf 139v könnten als Werke des auf 270r-271r
tätigen
In Lage 28 des Cvp 326 ist ihm mit Sicherheit der Lucas von
223r zuzuschreiben. Dieser stimmt mit der thronenden Maria
(Cvp 1767, 270r) im Faltenstil (die Saumlinien der Maria
sind allerdings gebrochener), im Kolorit und in der Malweise
völlig überein. Die Art der Ornamentik des Heiligenscheins
des Lucas, die der des Jesusknaben von Cvp 1767, 270r
entspricht, ist die auf Bl. 270r-271r des Cvp 1767 übliche.
Der Calixtus (Cvp 326, 221r) zeigt gegenüber dem
Evangelisten eine etwas einfachere Drapierung und einen
kleineren Kopf mit fleckigem Inkarnat. In Details – etwa in
der Form der Mantelschließe und der Krone – stimmt er mit
der Maria auf 270r in Cvp 1767 überein.
Am Dionysius (Cvp 326, 219r) erinnert die Malweise des
Gesichts (die Besonderheit, daß die leicht gewellte Kontur
der rechten Gesichtshälfte schwarz nachgezogen ist, findet
sich etwa auch beim Johannes auf 271r des Cvp 1767) und im
Perlenschmuck der Robe an den Calixtus, der Leonhardus (Cvp
326, 221v) ist in der Art wie er das Buch hält und im
Heiligenscheinornament mit dem Lucas vergleichbar.
Leonhardus stammt jedoch zweifelos von derselben Hand wie
der ebenfalls mit einem weißgrauen Schädeldach und einem
verrutscht wirkenden Haarkranz ausgestattete Franciscus vor
dem Gekreuzigten auf 215r des Cvp 326. Daß diese Szene
jedoch kaum dem Illuminator von 270r-271r des Cvp 1767
zugeschrieben werden kann, zeigt der Kruzifixus, der
gegenüber dem zwar in einer Reihe von Details
übereinstimmenden auf 271r des Cvp 1767 – vergleichbar sind
etwa Haltung am Kreuz, Binnenzeichnung, Verlauf des Blutes
der Seitenwunde, Drapierung des Lendentuches – weit
schwächer ist (vgl. z.B. die Physiognomien).
Daß die in der Literatur unter der Bezeichnung "Meister
der Klosterneuburger Missalien" zusammengefaßten Kräfte auch
in den Klosterneuburger Missalien CCl 72
(⇒Kat.-Nr.61),
CCl 606
(⇒Kat.-Nr.62),
CCl 609
(⇒Kat.-Nr.63),
CCl 616
(⇒Kat.-Nr.64),
CCl 960
(⇒Kat.-Nr.65)
und im Harrach-Missale
(⇒Kat.-Nr.66)
(⇒Anm. 134-1)
tätig waren, wird allein schon durch die mit den
Missalienmeister-Initialen des Cvp 326 und Cvp 7167 völlig
übereinstimmende Ornamentik der genannten Missalien belegt.
Wie in den genannten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek
finden sich auch in den Missalien zwei Variationen von Blattrankenausläufern:
Die Rankenblätter von CCl 72, CCl 606, CCl 609 und der
T(e igitur)-Initiale des Harrach-Missales zeigen zu Blattspitzen
führende Linien, die von einer dichten Abfolge kurzer
Querstrichelchen durchkreuzt werden und sind in kräftigeren
Farbtönen als in den übrigen Missalien gehalten (ausgenommen
die in blaßem Rotbraun gemalten Blätter der Ausläufer des
Kanonbildes und der T-Initiale des CCl 72). Während diese
Handschriftengruppe in ihren Rankenblattformen den
Missalienmeister-Initialen des Cvp 326 (ausgenommen denen
der 28. Lage) entspricht, stehen die Blattranken des CCl 960
und CCl 616 in ihren weniger kräftigen und in sich
kontrastärmeren Farbtönen – und auch in den nur in CCl 960
vorkommenden Blütenmotiven – den Missalienmeister-Initialen
des Cvp 1767 und der 28. Lage des Cvp 326 – also jenen
Initialen, die zum
Auch die figürlichen Darstellungen von CCl 616 und CCl 960 zeigen Beziehungen zum Sebastianmeister. Der stark beschädigte Kruzifixus des CCl 616 ist in Haltung am Kreuz, Binnenzeichnung (siehe auch den Schmerzensmann auf 167r) und Drapierung des Lendentuchs mit dem Gekreuzigten von Cvp 1767, 270r und 271r verwandt; die Maria entspricht in Kostümierung und Handhaltung in etwa der auf 270r, im Faltenrelief jedoch besser der auf 271r und der Helena auf 271r. Der Johannes – er wird auch in den übrigen vier Klosterneuburger Missalien des Missalienmeisters in derselben Haltung gegeben – stimmt ikonographisch mit dem von Cvp 1767, 271r überein; seine Drapierung ist diesem gegenüber geringfügig abgewandelt. Die Innenräume CCl 616, 9r, 142r sind wie die des Sebastianmeisters in Zentralperspektive gesehen (z.B. Cvp 1767, 271r), Handhaltung und Form der Krone der Maria auf 142r entsprechen der auf 270r in Cvp 1767; die Drapierung der erstgenannten ist allerdings – wohl da nur halb so groß - weit einfacher.
Die figürlichen Darstellungen des CCl 960 (Kanonbild, Schmerzensmann) stimmen ikonographisch mit den entsprechenden des CCl 616 überein. Beide Missalien zeigen eine unfigürliche Initiale zum Kanonbeginn und auf gleiche Weise tangential am Kanonbildrahmen ansetzende Ranken. Die Assistenzfiguren des CCl 690 sind gegenüber jenen des CCl 616 gelängter, ihre Gesichter weniger sorgfältig ausgeführt, die Faltenzüge weniger deutlich gebrochen.
Ikonographisch verwandt mit dem Sebastianmeister (vgl. Cvp
1767, 271r) ist auch das Kanonbild – vor allem die Maria –
von CCl 606, deren schematisches Faltenrelief etwa dem der
Verena auf 277v des Cvp 326 vergleichbar ist. Daß die
ausführende Hand mit jener Kraft zu identifizieren ist, die
die Masse der Missalienmeister-Initialen in Cvp 326
ausgeführt hat, wird vor allem durch die
Landschaftsdarstellung der Initiale CCl 606, 167v –
vergleiche damit etwa Cvp 326, 227v – nahegelegt.
Im Kanonbild des Harrach-Missales
(⇒Anm. 136-1)
stimmt die Haltung
der Akteure mit der Sebastianmeister-Kreuzigung Cvp 1767,
271r überein. Wie dort sind die Beine Christi von einem
netzartigen Liniengespinst überzogen. Doch ist Christus im
Harrach-Missale breithüftiger und trägt ein anderes
Lendentuch; vor allem jedoch zeigen die Assistenzfiguren des
Harrach-Missales einen gänzlich anderen Faltenstil. Dieser
dem Internationalen Stil – sieht man vom
zusammengeschobenen rechten Ärmel und den geknickten Falten
vor der Brust des Johannes ab – noch weit näherstehende
Faltenstil mit langen dünnen Röhrenfalten hat in den
Missalienmeister-Lagen des Cvp 326 mit Sicherheit keine
Parallele; in Cvp 1767 vertreten von den hypothetisch mit
dem Sebastianmeister in Zusammenhang gebrachten
Darstellungen am ehesten die Helena (139v), Maria (187v) und
der Leonhardus (235v) eine verwandte Stilrichtung. Die Maria
des Harrach-Kanonbildes, die in Standmotiv und Drapierung
den Typus der Maria des Turs-Missales tradiert
(⇒Anm. 136-2), ist
engstens verwandt mit der etwas stärker frontalisierten und
steifer wirkenden Maria des Kanonbildes des 1450 gekauften
CCl 609, der derselben Hand wie CCl 606 zuzuschreiben ist.
Ein Vergleich der Kanonbilder der beiden letztgenannten
Handschriften zeigt engste Übereinstimmungen im
Gesichtstypus und im Faltenwurf der beiden Johannes, während
die Maria des CCl 606 der des CCl 609 zwar in etwa in ihrem
Umriß entspricht, in der Binnenzeichnung des Gewandes jedoch
eher an CCl 616 anschließt. Völlige Übereinstimmung zwischen
CCl 606 und CCl 609 besteht auch in Zeichnung und Verlauf
der Blattranken und in der Ikonographie der Geißelungsszene
zum Kanonbeginn. Auch die beiden Adventinitialen (jeweils
mit einem knienden Chorherren) zeigen eine verwandte
Ikonographie. Auf Grund dieser engen Beziehungen wird man
beide Handschriften in etwa gleichzeitig entstanden denken
müssen.
Auf ähnliche Vorbilder wie die Kanonbilder des Harrach-Missales und des CCl 609 dürfte das Kanonbild des 1452 gekauften CCl 72 zurückgehen. Ponderation und Faltenwurf der Maria des Kanonbildes in CCl 72 – und noch besser der Maria auf 355r in CCl 72 – erinnern an die Marien der Kanonbilder der beiden erstgenannten Handschriften; der Christus des CCl 72 ist als einziger unter denen des Missalienmeisters nicht frontal gesehen, sondern in ähnlicher Weise wie der Turs Missale-Kruzifixus zur Seite gedreht.
Von den genannten Missalien kann der in die späten vierziger Jahren zu datierende CCl 616 am ehesten als eigenhändiges Werk des Sebastianmeisters aufgefaßt werden. Das qualitätvolle Kanonbild des Harrach-Missales könnte – auf Grund der ikonographischen Abhängigkeit vom Turs-Missale und des Drapierungsstils der Maria wohl einige Jahre jünger – ein Werk derselben Hand sein. CCl 606, CCl 609 und wahrscheinlich auch CCl 72 stammen hingegen höchstwahrscheinlich von jener Kraft, die den größten Teil der Missalienmeister-Initialen des Cvp 326 geschaffen hat.
In Cvp 1767 heben sich die insgesamt sieben unfigürlichen
Deckfarbeninitialen des innersten Doppelblattes (Bl. 179,
180) der 20. Lage von den übrigen Initialen dieser
Handschrift deutlich ab. Zumindestens einige von ihnen –
nämlich die Initialen auf 179r, 179vb, 180rb und 180vb –
stammen von einer Hand, die auch in CCl 603
(⇒Kat.-Nr.67)
(⇒Anm. 137-1),
Lambach (OSB), Cml. LV
(⇒Kat.-Nr.68)
und im 1448 datierten Cvp 2744 nachweisbar ist.
Charakteristisch für die Initialen dieser Hand ist vor allem die Art der Buchstabenkörperfüllung, die aus einer wellenförmig bewegten, häufig rundlappigen Blattranke besteht, wobei schmale Stellen des Buchstabenkörpers meist nicht wie üblich als undifferenzierter Wulst gegeben sind, sondern mit einer Art Blattfries belegt werden (z.B. CCl 603, 55r, 215r, Cvp 1767, 179v, Cvp 2744, 1r und – weniger deutlich – Lambach, Cml LV, 48r). Der Goldgrund wird bevorzugt durch punktierte Linien, die von je einer eingravierten flankiert werden, in Rauten oder Quadrate unterteilt und von einer schmalen farbigen Linie konturiert. Der Deckfarbenschmuck dieser Hand in Cvp 2774, CCl 603 und Lambach, Cml LV stimmt unter anderem auch in der bevorzugten Verwendung desselben Fadenrakenornaments überein (z.B. Cvp 2744, 1rb, 35r, Lambach, Cml LV, 24r, CCl 603, 55r) sowie in den mit freien Goldpunkten geschmückten Blattranken (z.B. Cvp 2744, 1rb, Lambach, Cml LV, 85v, CCl 603, 119v), die gegenüber jenen des Missalienmeisters räumlicher bewegt und mit weniger schematisch gezeichneten Blattformen belegt sind.
In Cvp 2774
(⇒Anm. 138-1)
sind dieser Hand der Deckfarbenschmuck auf
1r sowie insgesamt zwölf Miniaturen auf 26r-38v zuzuweisen,
deren Stil mit den Darstellungen des CCl 603 – man
vergleiche etwa das undifferenzierte verlorene Profil des
Johannes auf 119v des CCl 603 mit dem des Josef auf 32v in
Cvp 2774 oder die Faltengebung der Maria des CCl 603 mit der
des Josef auf 26r in Cvp 2774 – und im Lambacher Codex – man
vergleiche etwa den knienden Propst auf 85v
(⇒Anm. 138-2)
dieses
Codex mit dem vordersten Knienden auf 36v der Historienbibel
– übereinstimmt.
Die Verbindung des Cvp 2774 zur Salzburger Buchmalerei ist vor allem durch die von mehreren Händen stammende Deckfarbenornamentik dieser Handschrift gegeben, die "die Textanfänge begleitet und in deutlicher Abhängigkeit von den maskenreichen Formeln um die Grillingerbibel steht". (⇒Anm. 139-1) Dieser nahestehend ist nicht nur die Ornamentik des oben genannten Illuminators – man vergleiche beispielsweise die Blattranken Cvp 2774, 1r und CCl 603, 119v mit Cvp 2774, 224r – sondern auch die der Marieninitiale auf 232r in CCl 606, die als einzige Deckfarbeninitiale dieser Handschrift nicht dem Missalienmeister zugeschrieben werden kann. Ihre Buchstabenkörperfüllung, die in regelmäßigen Abständen mit Querstrichelchen versehenen Buchstabenkörperteile, die Blattranke mit ihren Blattformen, freien Goldpunkten und gestrahlten tropfenförmigen Goldblüten erinnert an Buchinitialen des Cvp 2774 wie auf 90r, 114r, 204r. Auch das Marienfigürchen selbst, mit seiner betonten Körperlichkeit und den dünnen Röhrenfalten, gemahnt an Werke der Salzburger Malerei. (⇒Anm. 139-2) Im Gesichtstypus und in der Ausbildung der Saumzone ist ihm auch das Frauenfigürchen auf 44v des Cvp 2774 verwandt.
Darauf, daß Cvp 2774 auf 21v und 23r je eine kolorierte Federzeichnung des Missalienmeisters enthält, hat bereits Ziegler (⇒Anm. 139-3) hingewiesen. In der Wiedergabe der Landschaft, in der fleckigen Malweise der Gesichter und im Faltenstil - vergleiche etwa den Isaak auf 21v mit der Justina auf 203v in Cvo 326 – besteht ein deutlicher Zusammenhang zu den Missalienmeister-Initialen des Cvp 326.
Die Tatsache, daß der Missalienmeister des Cvp 326 in Cvp
2774 zwei Miniaturen ausgeführt hat und andererseits einige
wenige Initialen des Cvp 1767 von einer in Cvp 2774 tätigen
Hand eingesetzt worden sind, läßt – in Hinblick auf die
gesicherte Datierung der genannten Handschriften in die
Jahre 1446-1448 – meines Erachtens den Schluß zu,
daß der
Zusammenfassung
Bei der Beschäftigung mit im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts in Niederösterreich illuminierten Handschriften konnten unter anderem – vor allem durch Beachtung der Sekundärornamentik (Fleuronnée, Lombarden) – noch unerkannte Beziehungen zwischen CCl 614, CCl 74 und der Gruppe des Niederösterreichischen Randleistenstils nachgewiesen werden; Beziehungen, die vor allem für das Verständnis der letztgenannten Handschriftengruppe relevant sind. Jene Hand, die den Großteil des Fleuronnées in genannter Gruppe geschaffen hat, ist nicht nur auch im Fleuronnéeschmuck der älteren CCl 614 und CCl 74 nachweisbar; ihr ist auch der größte Teil der Lombarden und Deckfarbeninitialen in den Codices des Niederösterreichischen Randleistenstils zuzuweisen. Somit ist für die unter diesem Terminus zusammengefaßte, in den achtziger und frühen neunziger Jahren nachweisbare Form des Deckfarbenschmucks im wesentlichen eine Persönlichkeit verantwortlich zu machen, die auf Grund der Handschriften-Provenienzen als Wanderkünstler zu verstehen ist, und die meist den gesamten Buchschmuck dieser Codices ausgeführt hat.
Im Deckfarbenschmuck hat dieser Illuminator einerseits aus
Handschriften wie CCl 614, CCl 154 und CCl 74
(⇒Anm. 141-1)
Anregungen bezogen, andererseits jedoch auch italienische
Vorbilder auf direktem oder indirektem Wege verarbeitet.
Holter
(⇒Anm. 141-2)
hat in diesem Zusammenhang auf die Handschriften
Cvp 1191 und Cvp 405 (letztere heute in Budapest)
hingewiesen und auf Grund der allgemeinen Ähnlichkeiten in
der Anlage des Rahmensystems und in Einzelmotiven
(stabartige Ranken, unterbrochen von Knoten und Blüten,
besetzt mit Vögeln und Fabelwesen),
Während die 1392 datierbare Bibel Wien, UB, Ms. 506 noch den
Niederösterreichischen Randleistenstils vertritt, gehört
der unfigürliche Deckfarbenschmuck der 1397 datierten
Heiligenkreuzer Bibel Cod. 1 und 2 bereits dem Umkreis der
Wiener Hofwerkstätte an, von der angenommen wird, daß sie
sich mit dem um 1385 angesetzten Beginn der Ausschmückung am
Rationale Durandi (Cvp 2765) konstituiert habe.
(⇒Anm. 142-3)
Eine
Letzteres gilt auch für den nach dem Cvp 2765 am reichsten illuminierten Codex des ausgehenden 14. Jahrhunderts aus dem Wiener Raum, für das Missale Wiener Neustadt, Neukloster, Cod. XII A 10, dessen Kanonbild-Illuminator vom Frühstil des Cvp 2765 abhängt. Mit dem Wiener Neustädter Codex schließen sich im Deckfarben- und/oder Fleuronnéeschmuck weitere 14 Handschriften, darunter acht aus Klosterneuburg, zusammen. Nur vier der ganzen Gruppe zeigen figürliche Darstellungen, wobei der – durch einen im Cvp 2765 nicht nachweisbaren Illuminator hergestellte – stilistische Zusammenhang zwischen Wiener Neustädter Missale, CCl 23 und dem Lektionar Budapest, Bibl. der Akademie der Wissenschaften, "Ivrét 1b" weit enger ist als zu dem auf Grund seiner Deckfarbenornamentik und der Fleuronnéeinitiale auf 128r zweifellos derselben Gruppe zuzurechnenden Missales St. Florian, Cod. III 205, dessen mit dem Wiener Neustädter Missale zum Teil in ikonographischer Beziehung stehende Darstellungen (Abendmahl!) einer schwächeren Hand zuzuweisen sind.
Dafür, daß nicht alle dieser 14 Handschriften an einem Ort
ausgeschmückt worden sind, spricht unter anderem die
Provenienz der liturgischen Handschriften dieser Gruppe. Das
Psalterium Klosterneuburg, Cod. 600 (mit Klosterneuburger
Litanei), das St. Florianer Missale (nach St. Florianer Ritus),
Wiener Neustädter Missale (mit Kalendar der
Diözese Salzburg) und das Budapester Lektionar (mit
Kalendar der Diözese Salzburg; geschrieben offensichtlich
von derselben Hand wie der vorgenannte Codex) sind
höchstwahrscheinlich – da angenommen
Hauptsitz der Werkstatt dürfte Wiener Neustadt gewesen sein. Dafür spricht vor allem der Umstand, daß am Deckfarben- und Fleuronnéeschmuck des Wiener Neustädter Missales mindestens je drei Hände beteiligt waren – was naheliegt, daß der Buchschmuck dieser Handschrift innerhalb einer größeren und daher wohl auch in einer in einem Zentrum tätigen Werkstatt entstanden ist –, während die Ausstattung der übrigen, zum Teil nachweislich an verschiedenen Orten geschriebenen Codices dieser Gruppe hingegen von jeweils nur ein bis zwei, eventuell von der Werkstatt delegierten oder aus ihr hervorgegangenen, herumziehenden Kräften ausgeführt worden ist.
Ob die Werkstatt des Wiener Neustädter Missales als Ableger der Hofwerkstätte aufzufassen ist oder ob nicht vielmehr beide Werkstätten auf ähnliche Vorbilder zurückgreifen, kann – da zweifellos nur ein geringer Prozentsatz der illuminierten Handschriften dieser Zeit erhalten ist – nicht entschieden werden.
Die Beschäftigung mit der jüngeren Stilschicht des RD hat
gezeigt, daß eine genaue Scheidung der an ihr beteiligten
Hände unmöglich ist. Doch sprechen die Unterschiede zwischen
Bl. 163r und 274r in Verbindung mit dem Umstand, daß ein
Großteil der dieser Stilschicht zuzurechnenden
Initialbildchen mit den Darstellungen des einen oder anderen
der beiden vorgenannten Blätter in Verbindung zu bringen ist,
dafür, für den Figurenschmuck von 163r und 274r – im
Gegensatz zur Ansicht Schmidts
(⇒Anm. 144-1),
der beide Blätter dem
Illuminator Nikolaus zuschreibt – wenigstens zwei Hände
verantwortlich zu machen. Die Beziehungen des etwa
gleichzeitig tätigen "Lyra-Meisters" zu Bl. 163r und zu dem
von Holter
(⇒Anm. 144-2)
ihm gleicherweise zugeschriebenen Bl. 57r
erwiesen sich als zu wenig charakteristisch, um eine
Zuschreibung dieser Blätter an den
Deckfarbenornamentik und Figurenstil der Handschriften, in denen der Lyra-Meister nachweisbar ist, sprechen für eine Entstehung innerhalb der an der jüngeren Stilschicht des RD tätigen Werkstatt: Die Deckfarbenornamentik ist – mit Ausnahme einiger erst wieder in Handschriften um 1420 wiederkehrender Blattrankenformen des Cvp 2783 – von der des RD nicht absetzbar; die figürlichen Darstellungen stehen Bl. 163r oder 274r und den mit diesen Blättern jeweils in Zusammenhang gebrachten Initialbildchen nahe. Für die Ausschmückung der Lyra-Meister-Handschriften in der Hofwerkstätte sprechen auch ihre Vorbesitzer: Die Historia-Handschrift war für Herzog Wilhelm bestimmt, Cvp 2783 war im Besitz des Andreas Plank, herzoglicher Kanzler ab 1406.
Erst in den Jahren 1420/1421 setzt wiederum eine reiche
Produktion illuminierter Handschriften im Wiener Raum ein.
Hauptwerk ist das Antiphonar CCl 65-68, in dessen zwischen
1420 und 1424 entstandenen, reich mit Deckfarbeninitialen,
fleuronnierten Lombarden und Cadellen ausgestatteten
Grundstock eine Reihe von Händen tätig war. Von denselben
oder eng verwandten Kräften stammen unter anderem neben den
schon bei Oettinger
(⇒Anm. 145-2)
genannten 16 illuminierten Codices
der Klosterneuburger Stiftsbibliothek weitere sechs, aus
inhaltlichen Gründen 1420/1421 zu datierende: CCl 36, 38,
58, 128-129, 722 B. Die Ansicht Oettingers, daß die
Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts sich
auf die in den Rechnungsbüchern genannten Illuminatoren
aufgrund von Unterschieden im Figurenstil und in der Ornamentik
aufteilen lassen, erfuhr bei genauer Untersuchung des
Buchschmucks keine uneingeschränkte Bestätigung.
Dem Illuminator Michael ist im Grundstock des Antiphonars neben vier historisierten Initialen der weitaus größte Teil der insgesamt 275 unfigürlichen zuzuschreiben. Einige davon sind – wie die dem Michael bislang zugewiesenen beiden Initialen des CCl 121 – wahrscheinlich vom Meister des Kremnitzer Stadtbuches, dieser wäre auch als Ausführender einer der herausgeschnittenen figürlichen Initialen des Antiphonars denkbar. An die Ornamentik der insgesamt 12 figürlichen "Nikolaus-Initialen" des Antiphonars schließt nur eine kleine Gruppe unfigürlicher im Antiphonar, jedoch der überwiegende Teil aller in Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts enthaltener an.
Eine Analyse der "Nikolaus-Initialen" des Antiphonars zeigte Unterschiede in Drapierungsform, in den Gesichtstypen, in der Malweise, im Kolorit und auch in der Qualität auf; Unterschiede, die Anlaß waren, zumindestens für die Ausführung der Initialen der Verkündigung, des Ostermorgens, des Johannes Bapt. und des Christus und Zachäus einen Mitarbeiter des Nikolaus anzunehmen. Diesem Gehilfen ist auch der Deckfarbenschmuck des CCl 36-38 zuzuschreiben; dem Hauptmeister hingegen unzweifelhaft das Kanonbild des Turs-Missales und wahrscheinlich auch die figürlichen Darstellungen des CCl 273 und CCl 35. Während die mit dem Illuminator Nikolaus zu identifizierenden Darstellungen jene Stilrichtung fortsetzen, die durch Bl. 274r des RD, durch die fortschrittlicheren Initialdarstellungen des Cvp 2783 und durch 1v der New Yorker Historia-Handschrift vertreten ist, wurden bei den seinem Mitarbeiter zugewiesenen Darstellungen Beziehungen zu Bl. 163r des RD und dem vom Lyra-Meister ausgeschmückten Bl. 1r des Cvp 2783 festgestellt.
Eine Verbindung vom Buchschmuck des Antiphonars zur älteren
Buchmalerei im Wiener Raum ist auch durch jenen Florator
gegeben, dessen Tätigkeit im Antiphonar sich im wesentlichen
auf die Ausschmückung der mit "Nikolaus-Initialen"
versehenen Doppelblätter beschränkt hat, der nachweislich
auch Deckfarbeninitialen geschaffen hat und bereits im Cvp
2783 und wohl auch auf 1v der Historia-Handschrift tätig
war.
Unterschiede im Formenrepertoire der Deckfarbeninitialen und -ranken in Klosterneuburger Handschriften des dritten Jahrzehnts erlauben zwar die Bildung von Handschriftengruppen, doch kann – da sie nicht scharf voneinander abzugrenzen sind – die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß die festgestellten Unterschiede lediglich Folge der Weiterentwicklung desselben Illuminators sind. Für Illuminator Veit verbleiben als mögliche Werke seiner Hand lediglich die mit unfigürlichen Initialen ausgestatteten CCl 47 (1426), CCl 34 (1427), CCl 139 (1428) und ein Teil des CCl 35.
Die stilistische Verwandtschaft der Antiphonar-Illuminatoren zur Buchmalerei im böhmisch-mährischen Raum (⇒Anm. 147-1) – Nikolaus und der Meister des Kremnitzer Stadtbuches hängen eng von der späten Martyrologiumswerkstätte ab, Michael hat wiederholt mit dem Meister des Kremnitzer Stadtbuches zusammengearbeitet (die von Michael um 1430 geschaffenen Kanonbilder in zwei St. Lambrechter Missalien sind jenen des letztgenannten Meisters ikonographisch engstens verwandt) und zeigt noch näher zu untersuchende Beziehungen zur Buchmalerei in Brünner Missalien des ersten Jahrhundertviertels – und der Umstand, daß selbst die Formen der Sekundärornamentik (Fleuronnée, Lombarden) in von der Antiphonar-Werkstatt illuminierten Klosterneuburger Handschriften vor und nach dem dritten Jahrzehnt in Klosterneuburger Handschriften nicht zu finden sind, könnte dahingehend interpretiert werden, daß die um 1420/21 in Klosterneuburg erstmals greifbare Arbeitsgemeinschaft bereits im zweiten Jahrzehnt in derselben Zusammensetzung im böhmisch-mährischen Raum tätig gewesen ist. Daß das Haupt derselben, der Illuminator Nikolaus, im ersten Jahrzehnt in der Wiener Hofwerkstätte nachweisbar ist, reicht meines Erachtens nicht aus, diese Arbeitsgemeinschaft der Wiener Hofwerkstätte zuzurechnen.
Das vierte Jahrzehnt der Buchmalerei im Wiener Raum wird
durch den Albrechtsminiator und den Illuminator Michael
dominiert. Mit der Wiener Malerei um 1430 wurde erstmals der
Illuminator
In den folgenden Jahren ist er wohl mit Handschriften des Albrechtsminiators in Berührung gekommen, da das im Figuren wie Ornamentstil gegenüber oben genannten Handschriften zweifellos jüngere Graner Brevier in Ornamentik, Figurenstil und Ikonographie Beziehungen zu zwischen 1425 und 1435 entstandenen Handschriften des Albrechtsminiators zeigt. Letztere hätte der Meister des Palocs-Breviers im Wiener Raum – eventuell auf seinem Weg nach Gran – kennenlernen können; möglicherweise sind ihm diese Kenntnisse jedoch auch durch eine verlorengegangene Handschrift des Albrechtsminiators in Melk selbst vermittelt worden.
Ebenso wie der Meister des Palocs-Breviers so zeigt auch die Melker Buchmalerei gegen und um die Mitte des 15. Jahrhunderts Beziehungen zur Werkstatt der Grillinger Bibel (in einzelnen Motiven der Deckfarbenornamentik und im Fleuronnée zahlreicher Handschriften) wie zum Albrechtsminiator. Erstere könnten – zumindestens teilweise – durch den Meister des Palocs-Breviers in die Melker Buchmalerei Eingang gefunden haben, letztere sind durch direkte Kenntnis von Melker Handschriften des Albrechtsminiators erklärbar.
Der Buchschmuck Klosterneuburger Handschriften des vierten
Jahrzehnts umfaßt neben figürlichen und unfigürlichen
Deckfarbeninitialen des Albrechtsminiators (CCl 56, 57, 124)
und des Illuminators Michael (CCl 682, 613) eine in
kolorierter Federzeichnung gehaltene Sternbilderreihe im
naturwissenschaftlichen
Die Vorstellungen über die Klosterneuburger Handschriften
des Illuminators Michael wurden in einigen Punkten
korrigiert beziehungsweise ergänzt. Im Antiphonar hat er
nicht nur den größten Teil aller Deckfarbeninitialen des
Grundstocks ausgeführt, sondern auch den gesamten
Buchschmuck (Deckfarbeninitialen, Fleuronnéeinitialen) der
gegen 1440 eingefügten Teile – auch in anderen von seiner
Hand illuminierten Handschriften hat er Teile der
Sekundärornamentik geschaffen. Für die in der Literatur
unterschiedlich datierten Klosterneuburger Missalien dieses
Illuminators wurde eine Entstehung von um 1440 für CCl 78
und von 1430/1435 für CCl 613 ermittelt, da erstgenannte
Handschrift gegenüber dem – in Drapierungsstil und
Vorherrschende Kraft in illuminierten Klosterneuburger
Handschriften des fünften Jahrzehnts war der Meister der
Klosterneuburger Missalien ("Missalienmeister"). Die
technischen und stilistischen Unterschiede innerhalb des ihm
zugeschriebenen ouevres – deren verbindendes Merkmal die
einheitliche, in engster Abhängigkeit vom Albrechtsminiator
stehende Ornamentik ist – erwiesen sich als zu groß, um
dieses einem Meioster zuschreiben zu können. So zeigte die
Untersuchung der ihm in der Literatur zugeschriebenen
Darstellungen des Cvp 326 (1446-1447) und Cvp 1767 (1447-1448),
daß diese von mindestens zwei, stilistisch
allerdings bisweilen sehr ähnlichen und daher nicht immer
eindeutig unterscheidbaren Händen ausgeführt worden sind.
Die in ihrer Qualität hervorragende, als "Sebastianmeister"
bezeichnete Kraft hat im Cvp 1767 den Figurenschmuck auf
270r-271r, den größten Teil der für den Missalienmeister
in der Literatur in Anspruch genommenen übrigen Initialen
dieses Codex und im Cvp 326 zumindestens den Lucas auf 223r
ausgeführt, die restlichen Initialen letztgenannter
Handschrift sind hingegen meist von deutlich schwächerer
Qualität und daher zum überwiegenden Teil einer anderen
Auch an den Missalienmeister-Kanonbildern läßt sich das Nebeneinander der genannten beiden – nicht mit jeweils einer bestimmten Kraft dieser Werkstatt zu identifizierenden – Stilrichtungen aufzeigen. Die Kanonbilder des CCl 616 und CCl 960 stehen in Ikonographie und Faltenstil Darstellungen auf 270r-271r im Cvp 1767 am nächsten; auf Grund der sehr schwachen Qualität des CCl 960 erscheint eine Zuschreibung an den Sebastianmeister jedoch nur für CCl 616 möglich. Ihm kann auch das qualitätvolle Harrach-Missale-Kanonbild zugewiesen werden, dessen Maria – engstens verwandt der des 1450 gekauften, weit schwächeren CCl 609 – die Gottesmutter des um 1425 entstandenen TursMissale-Kanonbildes in Standmotiv und Drapierungsmotiv tradiert. Auf ähnliche, im Umkreis der Albrechtsminiators entstandene Vorbilder wie die Kanonbilder des Harrach-Missales und des CCl 609 dürfte auch das Kanonbild des 1452 gekauften CCl 72 zurückgehen. An in der Literatur noch nicht bekannten Arbeiten dieser Werkstatt sind neben dem Kanonbild und T(e igitur)-Initiale des Harrach-Missales zwei Initialen im Klosterneuburger Missale Budapest, Bibl. der Akad. der Wissenschaften, lat. cod. 4o 27 (von der Hand des Meisters aus Cvp 326), der Deckfarbenschmuck in Wien, Schottenbibl., Cod. 165 und in CCl 956 zu nennen.
Neben der stilistisch im Wiener Raum verwurzelten Missalienmeister-Werkstatt
ist im 1448 datierten Cvp 2774 eine
andere Arbeitsgemeinschaft faßbar, deren Mitarbeiter
zumindestens zum Teil aus dem Salzburger Raum gekommen sind.
Dorthin weist die Deckfarbenornamentik der Handschrift; doch
ist der erste der in diesem Codex vertretenen Illuminatoren
nachweislich im Wiener Raum tätig gewesen: er hat einige
unfigürliche Initialen
Ein Zusammenhang zwischen dieser Arbeitsgemeinschaft und der Missalienmeister-Werkstätte ist insofern gegeben, als jene Kraft, die den Großteil der Initialen im Cvp 326 ausgeführt hat, im Cvp 2774 durch zwei kolorierte Federzeichnungen vertreten ist und andererseits in dem von diesem Illuminator ausgestatteten CCl 606 eine Initiale im Figurenstil und Ornamentik nach Salzburg weist. Das Eindringen von Salzburger Kräften in den Wiener Raum in den späten vierziger Jahren ist wohl als Folge des Umstandes zu verstehen, daß hier zu diesem Zeitpunkt eine gegenüber Salzburg bedeutendere Produktion an illuminierten Handschriften existierte.
Bei der Analyse des Buchschmucks der in dieser Arbeit
behandelten Handschriften ergaben sich auch Erkenntnisse zum
Arbeitsprozeß bei der Buchausstattung. Für die Art der
Arbeitsaufteilung bei Ausführung der verschiedenen
Austattungselemente (Lombarden, Fleuronnée,
Deckfarbenschmuck) wurden verschiedene Möglichkeiten
festgestellt, wobei der Umfang der durchzuführenden Arbeit
nur sehr beschränkt einen Rückschluß auf die Anzahl der
beteiligten Kräfte zuläßt. Denn während in manchen
Handschriften sogar Lombarden und Fleuronnée von jeweils
mehreren Händen eingesetzt worden sind
(⇒Anm. 152-1),
sind in anderen
illuminierten Codices – beispielsweise im von Heinrich
Aurhaym ausgeschmückten CCl 4 und in den von Michael
ausgestatteten jüngeren Teilen des Antiphonars CCl 65-68 -
alle Buchschmuck-Elemente von einer einzigen Hand
ausgeführt worden. Daß letzteres nicht als Sonderfall
aufzufassen ist, wird auch dadurch belegt, daß in
schriftlichen Quellen des Spätmittelalters einerseits zwar
zwischen den Tätigkeiten des Einsetzens von einfachen,
vollfärbigen Initialen (capitales), dem Einsetzen des
Fleuronnées (floritura, floratura etc.) und der Ausstattung
mit Deckfarbenschmuck (illuminare) unterschieden
Handschriften-Beschreibungen
Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz - Abkuerzung SPK ?
Alois Haidinger, Wien 1980
Abschrift für Internet: Dezember 2003