Einleitung

(Version 1 vom 26.2.2002)

Der heutige Handschriftenbestand des Stiftes St. Paul spiegelt die wechselvolle Geschichte dieser Abtei wider, die im Jahr 1091 von Engelbert I. von Spanheim gegründet und von Benediktinermönchen aus Hirsau in Besitz genommen, 1787 durch Josef II. aufgehoben, jedoch im Jahr 1809 durch Benediktiner aus St. Blasien im Schwarzwald wiederbesiedelt wurde. St. Blasien war 1806 säkularisiert worden, die Mönche zogen 1807 in das im selben Jahr geschlossene Kollegiatstift Spital am Pyhrn ein, bevor sie sich endgültig in St. Paul niederließen und neben ihren eigenen Bücherbeständen auch jene der Spitaler Chorherrenbibliothek mitbrachten.
Dem Konvent von St. Blasien war es gelungen, rechtzeitig vor der Säkularisierung die wertvollsten Bestände unter größter Geheimhaltung vor dem staatlichen Zugriff ins Ausland zu schaffen, sodaß diese bis heute in Ordensbesitz im österreichischen St. Paul im Lavanttal erhalten geblieben sind.

Der alte St. Pauler Handschriftenbestand war mit der Klosteraufhebung stark dezimiert worden: Teile befinden sich heute unter anderem in der Universitätsbibliothek Klagenfurt (1) und in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (2). Dem neuen Handschriftenbestand wurden auch noch die Codices des ehemaligen Augustiner Chorherrenstiftes (bis 1603) und späteren Jesuitenkollegs Eberndorf, das im Jahr 1809 in St. Pauler Besitz übergegangen war, angegliedert. (3)

Die unterschiedlichen Bibliotheksprovenienzen der Handschriften können auch heute noch anhand der Signaturen (und damit der Aufstellung der Handschriften) nachvollzogen werden. Die einzelnen Handschriften jeder Provenienzgruppe sind jeweils durchgezählt und am Ende mit einem Schrägstrich und einer einstelligen Zahl versehen, die auf die jeweilige Bibliotheksprovenienz verweist.

1/0-1058/0 Alter Bestand aus St. Paul (überwiegend neuzeitliche Handschriften)
1/1-90/1Pergamenthandschriften aus dem Benediktinerkloster St. Blasien (Codices Blasiani membranacei [Blas. membr.])
1/2-291/2Papierhandschriften aus St. Blasien (Codices Blasiani chartacei [Blas. chart.])
1/3-126/3Pergamenthandschriften aus dem Kanonikerstift Spital am Pyhrn (Codices Hospitalenses membranacei [Hosp. membr.])
1/4-376/4Papierhandschriften aus Spital am Pyhrn (Codices Hospitalenses chartacei [Hosp. chart.])
1/5-13b/5Nachträge zu den Handschriften aus Spital am Pyhrn
1/6-154/6Nachträge zu den Handschriften aus St. Blasien
1/7-25/7Handschriften aus Eberndorf (wohl neuzeitlich, im Katalog nicht verzeichnet)
1/8-191/8Fragmente (zum Teil aus Handschriften und Inkunabeln verschiedener Provenienzen abgelöst)

Das vorliegende Handschrifteninventar wurde ausgehend vom Katalog Beda Schrolls (4) unter Einbeziehung einer Auswahl der angegebenen Literatur und nach Autopsie erstellt.

Anstoß für die Neufassung waren vor allem die mangelnde Benutzerfreundlichkeit und die allzu summarische Anlage des allein in handschriftlicher Form vorliegenden Katalogs (vgl. Titelblatt), der keinerlei Register enthält und im Beschreibungsteil nur sehr spärliche Informationen über die einzelnen Codices bietet (vgl. z. B. S. 31). Dennoch ist der Bestand in kunsthistorischer Hinsicht erfreulich gut bearbeitet, vor allem die zahlreichen Zimelien aus St. Blasien erfreuen sich, wie die zahlreichen Literaturangaben belegen, regen Forschungsinteresses. Auch die rein deutschsprachigen Handschriften und Fragmente sind relativ gut erschlossen. Sehr wenig Augenmerk wurde bisher jedoch der lateinischen Textüberlieferung geschenkt, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß der Katalog Schrolls zu einer Handschrift meist nur einen Text oder einige wenige Texte anführt, keine Initien vermerkt und, wie bereits erwähnt, keinerlei Register besitzt.

In der vorliegenden ersten Version eines neuen Inventars wird der Versuch unternommen, einen weiteren Schritt zur Texterschließung der heute in St. Paul befindlichen mittelalterlichen Handschriften zu setzen, indem zunächst die in der genannten Sekundärliteratur identifizierten Texte in die Handschriftenbeschreibung übernommen und Autorennamen vereinheitlicht werden. Einige Codices, erkennbar an umfangreicheren Beschreibungstexten und/oder an der Nennung von Textinitien, wurden nach Autopsie erschlossen. Genauere und vollständigere Textbestimmungen sollen nach und nach in späteren Versionen des Inventars erfolgen.

Ziel des Inventars ist es, die Forschung über einen vernachlässigten Bestand anzuregen, indem:

  1. der Versuch einer Präsentation des aktuellen Forschungsstandes unternommen wird
  2. Informationen zu Datierung, zum Äußeren, zur Geschichte und zum Inhalt der Handschriften an einer Stelle (bei der jeweiligen Signatur) zusammengefaßt werden
  3. als Ersatz für ein Register eine elektronische Suchmöglichkeit geboten wird


Anlage der Handschriftenbeschreibungen

Das Inventar orientiert sich formal an den im 'Inventar der Handschriften des Benediktinerstiftes Melk 1' (5) angewendeten Richtlinien: Auf die Signaturzeile (mit Vorgängersignatur in Klammern (6)) folgt Lokalisierung und/oder Datierung mit Angabe der Quelle, sofern die Datierung von jener im Katalog Schrolls abweicht. Die Titelschlagzeile, Angabe von Abmessungen und Umfang der Handschrift entfallen, ebenso die Nennung des Beschreibstoffs, der bereits aus dem Signaturentyp erkennbar ist. Daran schließen Informationen zum Äußeren und zur Geschichte der Handschrift an: Hinweise zu Zusammensetzung der Handschrift und Schreibern (Sigle BS), Kurzbeschreibung der Ausstattung (Sigle A), Kurzbeschreibung des Einbandes (Sigle E, überwiegend nach Autopsie), Bemerkungen zur Geschichte der Hs. (Sigle G, nach Sekundärliteratur und Autopsie) und chronologisch aufsteigend geordnete Literatur (Sigle L). Konnten keine Angaben zu einer Sigle erhoben werden, entfällt diese (dies gilt allgemein für Sigle E bei den Handschriften aus St. Blasien).

Die Einträge zum Inhalt der Handschriften beginnen jeweils mit Signatur (in eckigen Klammern) und Seitenzahlen. Waren diese im Katalog Schrolls und in der verwendeten Sekundärliteratur nicht angegeben und wurde die Handschrift nicht im Original eingesehen, so sind die Texte durchnumeriert (entweder Nr. 1, 2, 3 etc. oder Schrägstrich nach der Signatur und Nummer, z. B. [372/4]/1, [372/4]/2 etc.). Bei Autorennamen und Werktiteln wurde Vereinheitlichung der Ansetzungsform angestrebt. Die Identifizierung der Texte erfolgte jedoch in der Mehrzahl der Fälle allein nach den Angaben im Katalog Schrolls, Fehlzuweisungen und -ansetzungen sind daher nicht auszuschließen. Den Werktiteln angefügte Repertoriumsnachweise und Editionen sind als zusätzliche Informationen zu Autor und Werktitel zu sehen und bedeuten in der Regel nicht, daß die Überlieferung anhand der Ausgabe oder des Repertoriums überprüft wurde. Ist ein Repertorium oder eine Ausgabe jedoch unter Sigle L genannt oder wird ein Initium angegeben, so kann die Zuweisung als verläßlich(er) angesehen werden. Abgekürzt zitierte Literatur im Beschreibungsteil der Handschriften ist entweder bei den unter der Sigle L genannten Publikationen oder im beigefügten Verzeichnis der Abkürzungen nachzuschlagen.

Die Inhaltsbeschreibung der Handschriften des 16. Jahrhunderts ist überwiegend im Wortlaut des Katalogs wiedergegeben, Namen und Begriffe wurden nicht normalisiert. Von den 191 einsignierten, losen Fragmenten werden hier nur jene erwähnt, die bereits identifiziert und publiziert sind.

Wien, 26. Februar 2002

Christine Glaßner


1. Vgl. das Stichwort 'Sankt Paul im Lavanttal' im Provenienzregister von Hermann Menhardt, Handschriftenverzeichnis der Kärntner Bibliotheken I: Klagenfurt, Maria Saal Friesach (Handschriftenverzeichnisse österreichischer Bibliotheken 1). Wien 1927, 319.

2. Vgl. Hermann Menhardt, St. Pauler Handschriften in Wien, in: Festgabe zur 150-Jahr-Feier der Wiederbesiedlung des Benediktinerstiftes St.Paul im Lavanttal durch die Mönche von St. Blasien im Schwarzwald. Carinthia I 149 (1959) 524-533; István Németh, Handschriften und Inkunabeln Kärntner Provenienz in der Österreichischen Nationalbibliothek. Carinthia I 174 (1984) 173-192, Nr. 48-69. – Zwei weitere Handschriften nennt Friedrich Simader, St. Paul im Lavanttal, mit Abbildung eines Titelschildes der mittelalterlichen St. Pauler Bibliothek.

3. Allgemeine historische Informationen zu St. Paul vgl. Handbuch der historischen Stätten Österreich II (Kröners Taschenausgabe 279). Stuttgart 21978, 298-300; zur Bibliotheksgeschichte: Peter Hans Pascher, St. Paul, in: Handbuch der historischen Buchbestände in Österreich III. Bearb. v. Wilma Buchinger und Konstanze Mittendorfer. Unter Leitung v. Helmut W. Lang. Hildesheim 1996, 77-80 [online]. Zu Spital am Pyhrn vgl. Handbuch der historischen Stätten Österreich I (Kröners Taschenausgabe 278). Stuttgart 1985, 115 f. Zu Eberndorf vgl. Handbuch der historischen Stätten Österreich II, 220 f.

4. Beda Schroll, Catalogus codicum manuscriptorum ex monasteriis S. Blasii in Nigra Silva et Hospitalis ad Pyhrum montem in Austria nunc in monasterio S. Pauli in Carinthia. St. Paul 1868 [Handschriftlich mit maschinschriftlichen Nachträgen]. Auch in photomechanischer Reproduktion vorliegend: University Microfilms Ltd. High Wycomb, England, A Xerox Company, Ann Arbor, Michigan, USA.

5. Christine Glassner, Inventar der Handschriften des Benediktinerstiftes Melk I: Von den Anfängen bis ca. 1400, unter Mitarb. v. Alois Haidinger, Katalogbd. (Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters 2/8 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften 285), Wien 2000, 19-21.

6. Vgl. dazu auch die Signaturenkonkordanz.


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Seitenerstellung: Christine Glassner
Zitiervorschlag: https://manuscripta.at/stpaul/inv/